Gute Nacht: Thriller (German Edition)
machte große Augen. »Allerdings ein unheimlicher Spruch, finde ich. Drängt die Gedanken in eine bestimmte Richtung. Wo haben Sie ihn gehört?«
»In einem dunklen Keller.«
Clinter starrte Gurney lange an. »Klingt nach dem passenden Ort.« Er rückte den schwarzen Helm zurecht und brachte den Motor auf Touren. Nach einer angedeuteten militärischen Geste wendete er rasch und dröhnte den Hang hinunter.
Als Motorrad und Fahrer verschwunden waren, strebte Gurney zurück zum Haus und grübelte über die minimalen Verbindungen zwischen den Familien nach, die Clinter entdeckt hatte. Er fühlte sich an das Kleine-Welt-Phänomen und die Wahrscheinlichkeit erinnert, dass man bei intensiven Nachforschungen in der Vergangenheit von Menschen immer auf eine erstaunliche Zahl von Orten stieß, wo sich ihre Wege schon einmal gekreuzt haben.
Das große Rätsel blieben nach wie vor, wie Clinter es ausgedrückt hatte, »die verfluchten Autos«.
Zurück in der warmen Küche trank Gurney noch eine Tasse Kaffee.
Madeleine kam durch die Seitentür herein und fragte milde: »Ein Freund von dir?«
»Max Clinter.« Er fing an zu erzählen, was er von dem Mann erfahren hatte, bis sein Blick auf die Uhr fiel. »Tut mir leid, es ist schon später, als ich dachte. Ich muss um Viertel vor zehn in Sasparilla sein.«
»Und ich bin auf dem Weg ins Bad.«
Einige Minuten später rief er ihr durch die Tür zu, dass er jetzt aufbrach. Sie mahnte ihn zur Vorsicht.
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Ich dich auch«, kam es zurück.
Fünf Minuten später, als er schon eineinhalb Kilometer auf der Bergstraße zurückgelegt hatte, bemerkte er einen sich nähernden Postwagen. Zwischen hier und seinem Anwesen lagen nur zwei weitere Häuser, die beide hauptsächlich an Wochenenden bewohnt wurden. Das hieß, die Sendung war entweder für ihn oder Madeleine. Er stoppte, stieg aus und winkte.
Der Fahrer hielt an, als er Gurney erkannte, und holte einen Expressbrief hervor, den er ihm reichte. Nach dem Austausch einiger nichtssagender Bemerkungen über den viel zu kalten Frühling verabschiedete sich der Mann, und Gurney öffnete den an ihn adressierten Brief.
In dem Kuvert lag ein schlichter brauner Umschlag, den er ebenfalls aufriss. Er zog ein einzelnes Blatt Papier heraus und las:
Gier verbreitet sich in einer Familie wie septisches Blut im Badewasser. Sie infiziert alles, womit sie in Berührung kommt. Daher müssen auch die Frauen und Kinder, denen eure Trauer und Anteilnahme gilt, ausgerottet werden. Die Kinder der Gier sind böse, und böse sind jene, die sie umarmen. Daher müssen auch sie ausgerottet werden. Wer auch immer den Narren der Welt als bedauernswert gilt, muss ausgerottet werden, gleich ob er durch Blut oder Ehe verwandt ist mit den Kindern der Gier.
Wer die Produkte der Gier konsumiert, konsumiert ihren Makel. Die Nutznießer der Gier tragen die Schuld der Gier, und sie müssen auch die Strafe dafür ertragen. Sterben werden sie im Rampenlicht eures Lobes. Euer Lob wird ihr Verderben sein. Euer Mitleid ist ein Gift. Eure Sympathie verurteilt sie zum Tod.
Seht ihr denn nicht die Wahrheit? Seid ihr mit Blindheit geschlagen?
Die Welt ist aus den Fugen geraten. Gier maskiert sich als rühmlicher Ehrgeiz. Reichtum gibt sich als Beweis für Talent und Wert aus. Die Kommunikationskanäle sind in die Hände von Ungeheuern gefallen. Die Schlimmsten der Schlimmen werden gefeiert.
Wenn Teufel auf den Kanzeln stehen und Engel missachtet werden, ist es die Pflicht der Aufrechten zu bestrafen, was die aus den Fugen geratene Welt belohnt.
Dies sind die wahren und letzten Worte des Guten Hirten.
35
Einladung zur Party
Als Gurney auf die Route 7 bog, die Hauptstraße durch Sasparilla, klingelte sein Telefon. Auf dem Display stand Kyles Name, aber es war Kims Stimme.
Die Schuldgefühle und die Wut des gestrigen Tages waren von Schock und Angst verdrängt worden. »Gerade habe ich was mit der Eilpost bekommen … Von ihm , dem Guten Hirten … Er redet davon, dass Menschen ausgerottet werden müssen … Dass sie sterben.«
Gurney forderte sie auf, ihm den Brief vorzulesen. Er wollte sichergehen, dass es die gleiche Botschaft war wie die für ihn.
Der Text war identisch.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie. »Sollen wir die Polizei verständigen?«
Gurney erklärte ihr, dass auch er diese Nachricht erhalten hatte und in wenigen Minuten an einer Besprechung teilnahm, bei der er den Brief an die State Police und das FBI
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