Gute Nacht: Thriller (German Edition)
mit einer Verspätung von fünfundvierzig Minuten, abgeänderter Tagesordnung und verbrannt riechendem Kaffee begann.
Es war ein typischer fensterloser Konferenzraum mit einer Korkwand an einer Seite und einer glänzenden weißen Tafel an einer anderen. Das grelle, kalte Neonlicht erinnerte an Paul Mellanis klaustrophobisches Büro. Ein schlichter, rechteckiger Tisch mit sechs Stühlen nahm den größten Teil des Zimmers ein. In einer Ecke stand ein Tischchen mit einer Aluminiumkaffeemaschine, Styroporbechern, Plastiklöffeln, Kaffeeweißer und einer fast leeren Dose Zuckertütchen. In solchen Räumen hatte Gurney zahllose Stunden verbracht, und an seiner Reaktion darauf änderte sich vermutlich nie etwas. Immer wenn er so ein Zimmer betrat, hätte er am liebsten sofort die Flucht ergriffen.
Auf einer Seite des Tischs saßen Daker, Trout und Holdenfield. Ihnen gegenüber hatten sich Clegg, Bullard und Gurney niedergelassen. Eine Aufteilung, die nach Konfrontation roch. Alle hatten eine Fotokopie der Botschaft des Guten Hirten vor sich liegen und diese inzwischen mehrfach gelesen.
Vor Bullard lag zudem ein dicker Aktenordner, auf dem ganz oben zu Gurneys Überraschung die Zusammenfassung seiner Überlegungen zum ursprünglichen Fall lag, die er ihr gemailt hatte.
Sie hatte den Platz direkt gegenüber von Trout, der seine Hände gefaltet hielt. »Danke, dass Sie die Fahrt hierher auf sich genommen haben«, begann sie. »Gibt es außer dieser neuen Mitteilung, die angeblich vom Guten Hirten stammt, noch irgendwelche anderen wichtigen Punkte, die Sie sofort ansprechen möchten?«
Mit einem milden Lächeln breitete Trout die Hände aus, um seinen Respekt zu signalisieren. »Das fällt in Ihren Aufgabenbereich. Ich bin nur zum Zuhören hier.« Dann warf er Gurney einen weniger freundlichen Blick zu. »Meine einzige Sorge betrifft die Teilnahme von unbefugten Außenstehenden an einer internen Besprechung zu einer laufenden Untersuchung.«
Bullard machte ein verblüfftes Gesicht. »Unbefugt?«
Das milde Lächeln kehrte zurück. »Ich darf mich deutlicher ausdrücken. Ich beziehe mich nicht auf Mr. Gurneys aus der Presse sattsam bekannte frühere Tätigkeit in der Strafverfolgung, sondern auf seine ungeklärte Verstrickung in Ereignisse, die ebenfalls zum Gegenstand dieser Untersuchung werden könnten.«
»Sie meinen Kim Corazon?«
»Und ihren Exfreund, um nur zwei zu nennen, von denen ich gehört habe.«
Gurney fand es interessant, dass er von Meese wusste. Dafür gab es zwei mögliche Quellen: Schiff in Syracuse und den Brandexperten Kramden, der Kim nach Bedrohungen und Feinden gefragt hatte. Oder hatte Trout auf andere Weise in Kims Leben herumgeschnüffelt? Bloß wenn ja, warum? Ein weiterer Beleg für seinen Kontrollwahn? Für seine wilde Entschlossenheit, eine Wagenburg zu errichten?
Bullard nickte bedächtig, und ihr Blick glitt zur leeren
weißen Tafel. »Ein vernünftiger Einwand. Meine eigene Position ist wahrscheinlich weniger rational. Eher emotional. Ich habe das Gefühl, dass der Täter versucht, Dave Gurney aus dem Fall hinauszudrängen, und genau deswegen möchte ich ihn einbinden.« Plötzlich waren ihre Stimme und die Konturen ihres Gesichts wie Stahl. »Wenn der Täter gegen etwas ist, dann bin ich dafür . Außerdem möchte ich hier grundsätzlich Integrität unterstellen – und zwar allen Personen, die sich in diesem Raum be-
finden.«
Trout lehnte sich zurück. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich ziehe die Integrität von niemandem in Zweifel.«
»Entschuldigung, wenn ich Ihre Worte falsch gedeutet habe. Sie haben den Begriff ›Verstrickung‹ benutzt. Für mich hat dieses Wort bestimmte Konnotationen. Aber wir sollten uns nicht schon am Anfang verzetteln. Deshalb würde ich vorschlagen, wir gehen zuerst durch, was wir über den Mord an Ruth Blum wissen, bevor wir uns näher mit der heute eingetroffenen Nachricht und dem potenziellen Zusammenhang dieser Tat mit den Anschlägen vom Frühling 2000 befassen.«
»Und natürlich mit der Frage der Zuständigkeit«, fügte Trout hinzu.
»Natürlich. Doch das können wir nur im Licht der Fakten klären. Daher zuerst die Fakten.«
Ein leises Lächeln stahl sich auf Gurneys Lippen. Lieutenant Bullard war durchsetzungsfähig, intelligent, klar und praktisch – alles in der richtigen Dosierung.
Sie fuhr fort. »Manche von Ihnen haben wohl schon den ausführlichen Bericht gelesen, den wir letzte Nacht verschickt haben. Falls nicht, habe
Weitere Kostenlose Bücher