Gute Nacht Zuckerpüppchen
sah zu Pappi.
»Ein Baby«, murmelte Gaby.
»Dann kann unser Zuckerpüppchen Mamma spielen. Ein kleines Schwesterchen für unser Engelchen.« Pappi strich Gaby über die Wange. Sie wich zurück. Ein Baby.
»Du wirst doch nicht eifersüchtig sein, Zuckerpüppchen?« fragte Pappi.
Gaby betete. Jeden Abend betete sie: »Lieber Gott, laß es kein Mädchen sein. Das darfst du nicht zulassen. Du weißt doch, was er mit mir tut. Wenn es ein Mädchen wird, tut er es auch mit ihr. Ich kann sie nicht beschützen.«
Sie glaubte keinen Augenblick, daß es für Pappi einen Unterschied machen würde, daß das Kind seine richtige Tochter wäre.
»Einen Jungen, lieber Gott, bitte, einen Jungen.«
Es waren schlimme Monate nach Muttis freudiger Mitteilung. Pappi ließ Gaby fast keinen Tag in Ruhe; Angst und Sorge nagten an ihr, fraßen sie kaputt. Sie bekam einen juckenden Hautausschlag und mußte sich jeden Morgen und Abend mit einer übelriechenden Paste einreiben.
Anne, ihre neue Banknachbarin in der Oberschule, rutschte so weit wie möglich weg. »Sieht aus wie Krätze«, hörte Gaby sie flüstern.
Gleich nach der Schule ging Gaby zum Hausarzt der Familie, Dr. Rehbein. Seine Sprechstunde war gerade zu Ende, und er stand leicht gebückt vor dem Waschbecken und spülte den Seifenschaum von seinen Händen ab.
Fräulein Gramm, seine Sprechstundenhilfe, war schon fort. Dr. Rehbein schaute hoch. »Gaby, guten Tag. Ist noch etwas? So schnell wirkt die Creme nicht.«
»Ich weiß.« Gaby trat zögernd näher. »Ich möchte gerne, daß Sie mir ein Attest ausschreiben, daß der Ausschlag nicht ansteckend ist.«
»Hast du Ärger gehabt?« Er trocknete seine Hände ab. »Komm, setz dich. Ich finde dich sowieso besonders dünn und blaß.«
Gaby nahm auf der Stuhlkante Platz, faltete die Hände in ihrem Schoß.
»Jemand in der Schule sagte, ich hätte Krätze. Ich möchte nur, daß Sie aufschreiben, daß es nicht anstek-kend ist. Sie sagten doch, es ist nicht ansteckend?«
Der Arzt rieb nachdenklich sein Kinn, während er sich hinter seinem Schreibtisch auf den Stuhl setzte. »Ich habe eine bessere Idee, ich rufe deine Lehrerin an, einverstanden?«
»Ja«, sagte Gaby zögernd, »auch gut.«
Dr. Rehbein notierte sich Gabys Schule und den Namen ihrer Lehrerin: Fräulein Moll.
Er lehnte sich zurück, drehte den Füllfederhalter zwischen Daumen und Zeigefinger. »Da ist doch noch etwas, Gaby? Ich habe das Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmt. Hast du Sorgen?«
Gaby schüttelte den Kopf. »Nein, es juckt nur so.« Ihre Arme und Beine waren blutig gekratzt. Was sollte sie schon sagen? Dr. Rehbein war auch Muttis Arzt.
»Bist du vielleicht eifersüchtig, weil deine Mutter noch einmal ein Baby bekommt?«
Abrupt stand Gaby auf und sah den Doktor groß an. Auf einmal haßte sie diesen kleinen, freundlichen Mann, der sie behandelte wie einen jungen Hund, dem man gut Zureden mußte. Sollte sie ihm sagen, was sie hatte? Ob dann das gütige Lächeln auf seinem Gesicht verschwinden würde? Verschwinden wie eine Seifenblase, die ins Nichts zerplatzte.
»Gaby«, Dr. Rehbein stand auch auf. »Gaby, ist dir nicht gut?«
Sie schrak zusammen, schloß für eine Sekunde ihre brennenden Augen. »Doch«, sagte sie, »mir ist gut.« Sie wendete sich ab. »Vergessen Sie bitte nicht, Fräulein Moll anzurufen.«
»Moment.« Dr. Rehbein hielt sie am Arm zurück, als sie sich umdrehte, um zu gehen. »Was hältst du davon, wenn wir dich einmal verschicken würden? Du hast Untergewicht, bist sehr nervös. So vier bis sechs Wochen auf einem Bauemhof täten dir bestimmt gut. Da könntest du etwas Speck auf deine Rippen bekommen.«
Gaby war stehengeblieben und sah zu einem großen Plakat an der Wand. Es zeigte ein lachende Frau, einen lachenden Mann und in ihrer Mitte ein kleines Mädchen, das übermütig in die Höhe sprang. Darunter stand: »Glückliche Kinder mit Sanovit!«
»Wieviel Sanovit muß man trinken, um glücklich zu werden?« Ihre leise Frage hing wie ein Aufschrei in der Luft.
»Gaby«, Dr. Rehbein legte eine Hand auf ihre Schulter. »Gaby, du brauchst dir wegen des Babys keine Gedanken zu machen. Es wird dir gefallen, ein kleines Geschwisterchen zu versorgen.«
Zuckerpüppchen kann Mamma spielen, hörte Gaby Pappi sagen.
»Ich würde gerne einmal auf einem Bauernhof sein«, antwortete Gaby.
Dr. Rehbein ging zurück zu seinem Schreibtisch und machte sich ein paar Notizen. »Ich werde mit deiner Mutter und mit deinem Vater
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