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Gute Nacht Zuckerpüppchen

Gute Nacht Zuckerpüppchen

Titel: Gute Nacht Zuckerpüppchen
Autoren: Heide Glade-Hassenmüller
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sie wieder zu sich kam, lag ein nasses Handtuch auf ihrer Stirn. Mühsam versuchte sie, ihre verquollenen Augen zu öffnen. Nur mit dem rechten konnte sie etwas erkennen. Pappi stand hoch über ihr. Ein Turm in die Unendlichkeit. Wie groß er ist, ein Gott. Er reicht bis in den Himmel.
    »Steh auf«, sagte er und streckte ihr seine Hand hin. Sie zuckte zurück und schützte ihr Gesicht.
    »Steh endlich auf.« Er zog sie am Arm empor. Ihre Beine knickten unter ihr weg. Er stützte sie und schob sie ins Badezimmer. »Wasch dich, und geh gleich ins Bett. Mutti kommt bald.«

    Gaby taumelte vorwärts und setzte sich Halt suchend auf die Toilette. Pappi zog sie an den Haaren, damit sie ihn ansah.
    »Nicht wahr, Zuckerpüppchen, du bist gefallen.« Seine Stimme klang sanft und eindringlich. »Du bist gefallen, vergiß das nicht. Sonst sorge ich dafür, daß du dieses Haus nur noch verläßt, wenn du zur Schule mußt.« Er ließ ihre Haare los, und ihr Kopf sackte nach vorne. Leise zog Pappi die Tür hinter sich zu. Minutenlang blieb Gaby auf der Toilette sitzen. Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hat mit Anne telefoniert. Ich hätte sie einweihen sollen. Es ist meine Schuld. Mühsam zog sie sich an dem Waschbecken hoch und sah in den Spiegel.
    »Du bist gefallen«, wiederholte sie Pappis Worte. So sieht ein gefallenes Mädchen aus. Sie betrachtete die Fremde. Das linke Auge war hinter zwei Fleischwülsten verschwunden, die Oberlippe aufgeplatzt und aufgeschwollen bis zu ihrer Nase. Vorsichtig tupfte sie das Blut ab. Aus dem Schnitt bei ihrem Ohr tropfte es noch immer ihren Hals hinunter. Sie versuchte sich auszuziehen. Ein hungriges Ungeheuer saß in ihrem Bauch und wühlte dort in ihren Därmen. Sie wusch und wusch sich, der Waschlappen blieb rot. Irgendwann gab sie es auf und legte eine Monatsbinde um. Sie sammelte ihre zerrissenen Kleider ein und tastete sich erst an der Wand des Badezimmers, dann im Gang entlang in ihr Zimmer zu ihrem Bett. Ganz langsam ging sie in die Knie und rollte sich vorsichtig auf ihre Decke. Mit brennendem Auge sah sie ins Dunkel. Wie lange war es her, daß Horst zu ihr gesagt hatte: Ich raube mir das schönste Mädchen von Altona? Eine Stunde? Zwei Stunden? Ob sie entstellt bleiben würde? Eine gespaltene Lippe und ein Triefauge? Sie legte beide Hände auf ihren schmerzenden Leib. Morgen früh mußte sie gleich zu Dr. Rehbein. Er konnte ihr sagen, ob alles verheilen würde.
    Dann hörte sie Mutti nach Hause kommen.
    »Entschuldige, Anton, es ist später geworden. Wir haben noch ein Gläschen Likör getrunken und etwas geklönt.«
    Pappi lachte. »Das macht doch nichts, Hetty.«
    »Mit Mark alles in Ordnung?«
    »Ja«, sagte Pappi, »nur Gaby ist auf der Treppe gefallen. Nichts Schlimmes, denke ich.«
    »Ich habe übrigens beim Bridge gewonnen«, sagte Mutti und zog die Schlafzimmertür zu.

    »Willst du mir sagen, daß alle deine Verletzungen von einem Treppensturz kommen?«
    Seit einer halben Stunde untersuchte Dr. Rehbein sie. Er nähte den Schnitt beim Ohr, reinigte ihr verklebtes Auge, bepinselte ihre Lippen.
    »Ja«, wiederholte Gaby tonlos. Sie schloß ihr eines Auge und zuckte dann heftig zusammen, als der Arzt ihre Rippen betastete. »Wie ich vermutete: bestimmt zwei Rippen angebrochen. Hast du Schmerzen beim Atmen?«
    Gaby nickte.
    »Hast du Blut gespuckt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nur zuerst, nach — nach dem Sturz.«
    Vorsichtig drückte Dr. Rehbein auf ihren Bauch. Sie biß die Zähne zusammen.
    »Es tut weh, nicht wahr?«
    »Ein wenig«, log Gaby.
    Aufseufzend zog Dr. Rehbein seinen Hocker heran und setzte sich neben ihre Liege.
    »Sieh mich an«, bat er. Gaby drehte ihm ihr Gesicht zu. Jede Bewegung schmerzte.
    »Bist du wirklich gefallen, Gaby? Hat dich nicht jemand überfallen? Willst du es nicht sagen aus Angst vor deinen Eltern?«
    »Ich bin gefallen«, wiederholte Gaby.
    »Waren deine Eltern zu Hause? Warum haben sie mich nicht sofort gerufen? Mit solchen Verletzungen geht man doch nicht ins Bett.«
    »Meine Mutter war weg, und Pappi schlief schon. Ich wollte ihn nicht aufregen und bin gleich in mein Zimmer gegangen.«
    Ungläubig sah Dr. Rehbein sie an. »Du mußt doch starke Schmerzen gehabt haben?«
    »Wird mein Gesicht wieder normal?« fragte Gaby. »Ich meine, bleibe ich so entstellt?« Das war das einzige, das sie im Moment interessierte. Heute morgen war Gaby erschrocken vor der zerschlagenen Fratze im Spiegel zurückgewichen. Über Nacht schien
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