Gute Nacht Zuckerpüppchen
Gespannt ging sie vor der Tischtennisplatte in Stellung, den Schläger in der Hand.
»Hier, der erste Ball«, rief Horst ihr zu.
Mit jedem Treffer schlug sie ihre Unsicherheit ein wenig mehr weg, und bald spielte sie ganz ruhig und konzentriert. Horst war sehr fair, er servierte ihr die Bälle so, daß sie gut parieren konnte. Als sie auch einen überraschenden Schmetterball gerade noch über das Netz hob, klatschten einige Zuschauer. Danach spielte Horst etwas härter, aber Gaby sprang und hechtete nach den Bällen, als dürfte ihr kein einziger verlorengehen. Nach einer halben Stunde fing Horst den weißen Ball mit der Hand auf. »Genug«, sagte er lachend, »komm, ich lade dich zu einer Cola ein. Dann besprechen wir deine Schwächen, die wir noch ausbügeln müssen.«
Freundschaftlich legte er seinen Arm um Gabys Schultern. Es war, als ginge von seiner Hand ein elektrischer Stoß aus, der ein angenehmes Kribbeln bis zu ihrem Zeh sandte.
»Du bekommst ja eine Gänsehaut! Hier, nimm meine Jacke!« Horst legte ihr die Jacke seines Trainingsanzugs über. Von der Tischtennisplatte neben der Bar winkte ihr Anne mit dem Schläger zu.
»Also, du spielst ganz ordentlich«, begann Horst. »Deine Vorhand ist gut, dein Tempo beachtlich. Deine Rückhand müssen wir noch trainieren, und bei den Aufschlägen vergibst du Punkte. Doch das besprechen wir noch alles in Ruhe.« Er nahm einen Schluck von seiner Cola. »Erzähl was von dir«, sagte er, »du machst ja kaum den Mund auf.«
»Was soll ich erzählen?« Unsicher nippte Gaby an ihrem Getränk. »Ich wollte schon lange Tischtennis spielen. Aber meine Eltern erlaubten nicht, daß ich abends noch weggehe. Jetzt bin ich bald sechzehn, und meine Mutter hat endlich ja gesagt.«
»Deine Eltern sind wahrscheinlich sehr streng?«
»Ja«, sagte Gaby.
Horst blies eine seiner blonden Locken nach hinten und lachte leise. »Wahrscheinlich findest du mich gleich ganz doof, wenn ich dir sage, daß ich das gar nicht so schlecht finde.«
»Was findest du nicht so schlecht?«
»Na ja, daß deine Eltern dir nicht alles erlauben. Aber natürlich kann dir hier im Verein nichts geschehen. Ich werde ganz besonders auf dich aufpassen.«
Einen Moment trafen sich ihre Blicke, und Gaby bekam ein wehes Gefühl im Magen. Er sah sie ganz ernst an. Ihr war, als brenne hinter seinen Augen ein kleines Feuer, an dem sie sich verbrennen würde, wenn sie ihn länger ansähe. Sie wandte den Kopf ab.
Horst räusperte sich. »Vielleicht sollte ich einmal mit deinen Eltern sprechen. Ich meine, damit sie sich keine Sorgen machen.«
»Nein, nein, bitte nicht!« Gaby wußte instinktiv, daß Pappi etwas gegen Horst haben würde. Sie umfaßte ihr Glas fest. »Ich darf ja jetzt zweimal in der Woche zum Training und auch zu den Wettkampfspielen.«
Sie dachte an die Auseinandersetzung, die sie deswegen zu Hause gehabt hatte.
»Laß sie doch gehen«, hatte Mutti gemeint. »Sport wird ihr guttun.«
Pappi zog heftig an seiner Zigarette, sah Gaby durchdringend an und strich dabei über seinen Schnurrbart.
»Das Kind hat seine Verpflichtungen. Wie soll es seinen Verpflichtungen nachkommen, wenn es dauernd zu diesem Ping-Pong-Verein geht?«
»Was meinst du für »Verpflichtungen«?« Mutti zog ihre Schultern hoch. »Ich finde, in letzter Zeit benimmt sie sich doch ganz manierlich.«
Gaby sah von einem zum anderen. Sie kam sich vor wie in einer Groteske. Jeder sprach seinen Text. Sie fragte sich, ob Mutti ihren Text kannte. Was wußte sie? Pries sie wirklich nur ihr Wohlverhalten?«
»Bitte, Mutti, laß mich gehen. In der Schule läuft alles gut, und auf Mark passe ich auch weiterhin auf, wenn du weg mußt.«
Pappi inhalierte den Rauch seiner Zigarette, machte einen spitzen Mund und blies kleine, blaue Ringe in die Luft, die größer und größer wurden und sich dann langsam auflösten.
Wie sie ihn verabscheute, diesen glatzköpfigen, alten Mann mit seinen aufgeworfenen Wulstlippen, dem gefärbten Schnurrbart und den nikotingelben Fingern.
»Ich werde allen meinen Verpflichtungen nachkommen«, sie bemühte sich, ihre Stimme nicht zittern zu lassen.
»So?« Pappi blies einen besonders schönen runden Ring in ihre Richtung.
»Dann ist es ja gut«, sagte er freundlich. »Gehe ruhig in den Tischtennis-Verein. Abmelden können wir dich ja immer noch!«
10
Gabys Herz klopfte bis zum Halse. Es war ihre erste Verabredung. Natürlich sah sie ihn regelmäßig beim Training, aber das war doch etwas anderes.
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