Guten Morgen, Tel Aviv
Brauch, den man auch, so man denn will, gerne aufrechterhalten kann. Mein Wunderbarster isst auch kein Brot an Pessach, keine Pasta, keine Pizza. Der Gedanke der Freiheit mag hier schon etwas zu kurz kommen, aber so ist das manchmal mit der Religion.
Es gibt Dinge, an die muss man sich gewöhnen, wenn man hier lebt. Lärm. Hitze. Chaos. Auch daran, dass man keine nordeuropäische Lebensweise im Allgemeinen hat, vielleicht. Aber ich glaube, es gibt Grenzen. Und heute, ausgerechnet heute, mitten im Fest der Freiheit, der Befreiung, bin ich an eine Grenze gestoßen. Und das kam so.
Der Kater hatte nichts mehr zu essen, und er mag am liebsten Whiskas. Also bin ich in den Supermarkt gegangen, um Abhilfe zu schaffen. Es ist Pessach, das sagte ich schon. Selbst in dem » AM to PM «-Markt, der kontinuierlich geöffnet hat (auch am Sabbat, dem jüdischen Ruhetag, an dem arbeiten verboten ist), waren plötzlich überall die Produkte, in denen böses Gesäuertes schlummert, mit Planen verdeckt. Das war mir aber egal, denn ich akzeptiere, dass an Pessach kein Brot oder Bier verkauft wird. Außerdem wollte ich ja eh nur Whiskas. An dem Regal, an dem es normalerweise eine bunte Auswahl an Trockenfutter gibt, hing ein Schild, auf dem irgendetwas mit Pessach stand. Ein weißer Plastikvorhang verdeckte die meisten Futtertüten, hinter einem Loch stand eine Tüte Katzenfutter, die mit dem Stempel »Koscher für Pessach« versehen war. Alle anderen Sorten waren angeblich nicht koscher für Pessach und deshalb hinter dem Vorhang. Inklusive Whiskas.
Ich habe die Tüte Whiskas trotzdem an die Kasse geschleppt, da ich davon ausging, dass der Vorhang nur für Religiöse dort angebracht sei. Der Supermarkt konnte schließlich schon deswegen nicht richtig koscher sein, weil er immer am Sabbat geöffnet hatte. An der Kasse jedoch sagte man mir, dass das Whiskas nicht verkauft werden könne, da es nicht koscher für Pessach sei. Koscher? Pessach? Whiskas? Katze? Ich habe Ihnen ja gesagt, die Dinge stehen in einem untrennbaren, schmerzhaften Zusammenhang. Meine Kater ist doch kein Jude, sagte ich dann. Mein Kater ist kein Jude. Ich kann nicht glauben, zu welchen Aussagen dieses Land mich treibt. Der Sicherheitsmann am Eingang antwortete mir, dass der Kater selbstverständlich ein Jude sei. Wie kannst du sagen, dein Kater sei nicht jüdisch? Die Mutter ist doch auch jüdisch. Er zeigte auf mich. Ich habe den Kater nicht geboren. Insofern kann es sein, dass er tatsächlich jüdisch ist. Seine Mutter ist die fiese Katze, von der ich vor einiger Zeit angegriffen wurde. War sie Jüdin? Gab es Anzeichen? Betete sie manchmal im staubigen Hof? Noch während ich das dachte, glaubte ich, mir platzt der Kopf. Und dann der Kragen.
Wir befinden uns mitten im Fest der Befreiung, und ich kann meinem Kater kein Whiskas kaufen, weil er jüdisch ist. Das habe ich nicht gewusst, und es bringt mich an die Grenzen dessen, womit ich leben kann. Zehn Meter neben dem Supermarkt hat ein italienisches Restaurant geöffnet, man kann dort Pasta, Pizza und sogar Schweinefleisch essen. Gegenüber vom strengen Supermarkt sitzen Leute in einem Hummus-Restaurant und schmieren die Paste auf gesäuerte Pita. Gerade schlendern zwei junge Typen am Markt vorbei, in der Hand verbotene Bierflaschen. Und ich stehe hier in kurzer Entfernung vom normalen Leben, und ein paar Verrückte erklären mir, dass ich kein Katzenfutter kaufen darf, weil meine Kater Dschinji jüdisch ist.
Zu Hause habe ich den Kater sofort umbenannt. Er heißt jetzt Moses, und morgen werde ich ihm einen schwarzen Anzug und einen kleinen schwarzen Hut kaufen. Wenn schon, denn schon.
Matateh
Die durchschnittliche deutsche Frau weint 64-mal im Jahr. Ich habe wohl im letzten Jahr, meinem ersten in Israel, geschätzte 300-mal Tränen vergossen. Vielleicht muss das erste Jahr aber auch so schwer sein. Damit man dann Geschichten hat, die man erzählen kann. Davon, wie hart es war. Hätte man mir vorher gesagt, wie hart es werden würde, wäre ich vielleicht nicht gegangen. Dass Israel an Wassermangel leidet, kann schon wegen meiner Zuwanderung nicht mehr sein. Ich heulte schließlich wegen allem und jedem. Ich fühlte mich beleidigt, fremd, nicht willkommen, einsam. Hatte Sehnsucht, Panik und tiefe Wut.
Ich sehe all diese Menschen, die in dieser globalisierten Welt von A nach B ziehen. Die so mobil wie Zirkusdirektoren sind und nirgendwo zu Hause. Vielleicht gehöre ich nicht zu ihnen. Vielleicht brauche ich mein
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