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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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kam sofort auf den Anlaß ihres Anrufs: Dizzi ist tot, von einem Auto überrollt, als Fußgänger auf einer Landstraße … Unser Dizzi … ach du Schande … hatte ich mit einer kaum mehr gebräuchlichen Redewendung geantwortet – irritiert durch momenthaft in meinem Kopf aufscheinende Bilder des Verstorbenen als junger Mann. Katja beschrieb die genauen Umstände, während mir auffiel, daß sich die Nachrichten über den Tod früherer Freunde neuerdings häuften … was die guten alten Verbindungen der Freundesfreunde mitunter wiederbelebte. Auch wenn die gemeinsamen Zeiten bereits ewig zurücklagen, blieben einstige Weggenossen und ganze Cliquen so vertraut, als wären es Familienmitglieder – sie bezeugten vergangene Lebensabschnitte wie Jahresringe in der Baumrinde. An einem dunklen Herbstabend totgefahren, ein Unfall also … auf dem Land, upstate New York, wo er nahe Buffalo seit Jahren lebte. Wir sprachen noch eine Weile über den Dizzi unserer Hamburg-Berliner Zeiten, ehe Katja das Thema wechselte und fragte: Bist du eigentlich zur Zeit liiert? Na ja, schon … jemand kümmert sich, antwortete ich, allerdings im Grenzbereich meiner Ambiguitätstoleranz, du weißt, was ich mein. Ella versuchte offenbar, den Sinn und die dahinterstehende Absicht dieser verrätselt klingenden Aussagen zu ergründen, mit leerem Blick. Nach dem Telefonat fragte sie sofort, wer das gewesen sei.
    Katja, die Frau, durch die ich damals nach Berlin gekommen bin …
    Ah ja, diese Katja … treu und anhänglich … noch heute … eine Frau, die dich vor fast drei Jahrzehnten hierhergelockt hat …
    … da gab’s auch einige andere Gründe … die Steuer und noch ein paar Leute war’n hinter mir her …
    … früher hast du jedenfalls noch was getan für die Liebe …
    … und ein paar Monate später war Schluß mit uns in Berlin … wir könnten längst unser silbernes Trennungsjubiläum feiern …
    … und jetzt ging’s um den Termin der Feierlichkeiten – oder?
    Nein, ein alter Freund ist gestorben, Dizzi.
    Seltsamer Name – wer war das?
    Wir haben mal zusammen gewohnt, anfangs in Berlin, Bamberger Straße, ein damals bekannter Maler in Deutschland, was in USA immerhin für den Job eines Zeitungsillustrators reichte, für kleine Bildchen, lustige Federzeichnungen in den Jogger-Blättern wie dem road-runner, in der TIMES und später in der High Times, fünfzig Dollar das Stück … ja, der arme Dizzi, jahrelang am Limit in New York City …
    Bestimmt eine harte Zeit, sagte Ella, noch unentschlossen, ob sie bei der Geschichte einsteigen sollte oder nicht.
    Und der Slivovitz war teuer in Tribecca, im Prescott’s oder im Barnabas.
     
    Ich erzählte ihr von den Besuchen bei ihm in Manhattan, wo sich in einem kleineren Wolkenkratzer an der John Ecke Wall Street versprengte Undergroundler niedergelassen hatten, vom 10 . Stock an noch mal zehn aufwärts, darunter lief der Normalbetrieb von Firmen, Reiseagenten, Uhrmachern, et cetera. Wie die anderen Künstlerfreaks lebte er in einem der ehemaligen Bürozimmer, mit Waschbecken, machte seine kleinen Zeichnungen, und ich kuckte wieder mal stundenlang zu – voller Rundum-Bewunderung für den kreativen Akt eines erfolgreich Ausgewanderten … denn wer alles wollte nicht Anfang der Achtziger nach New York gegangen sein … Dizzi schaffte es, ihm gelang es, alle sechs Wochen dort neue Kunden zu finden, weil er nach der ersten Honorarabrechnung regelmäßig aus dem Blatt flog – ungeachtet seiner hochgelobten Qualitäten, ohne Greencard kannte die Buchhaltung kein Pardon. Später hat er sich da rausgearbeitet, begann Science-fiction-Bücher zu illustrieren und bald auch mit höherem Ertrag selbst zu schreiben und zu zeichnen, die Entdeckung einer Marktlücke, Science-fiction-Romane für Kinder …
     
    Er hat sogar den einen oder anderen Bestseller gelandet, sagte ich, danach konnte er sich’s offenbar leisten, aufs Land zu ziehen, nach fünfzehn Jahren New York City ab in die ewige Sommerfrische mit neuer Frau und deren Söhnen, schrieb er in einem Brief, ein Aufatmen.
    Bestseller mit Kinder-Science-fiction?
    Warum nicht? Er bekam Preise, auch von reinen Kinderjurys. Ideen braucht der Mensch.
     
    Ohne es gewollt oder gar als spezielle Spitze gegen sie beabsichtigt zu haben, war ich mit dieser Bemerkung ins aktuelle Zentrum von Ellas problematischer Wunschwelt gestoßen. Seit Wochen redete sie von ihrem Plan, einen Bestseller zu schreiben – angeregt vom Sensationserfolg einer

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