Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
schwäbischen oder bayrischen Hausfrau mit einem massenhaft verkauften, hundertseitigen Kleinstkrimi. Sie meinte das, wie mir nach und nach klarwurde, vollkommen ernst, während mir diese lottohaften Sehnsüchte, die Phantasien von der leichten Million, schon immer verhaßt waren. Besonders dann, wenn jemand den Antagonismus von Geld und Kunst ignorierte und sich selbstbenebelnd vorgaukeln ließ, das Unmögliche könnte ohne größere Anstrengung erreicht werden.
Na bitte, es geht doch, sagte Ella.
Ja, bei Dizzi, sagte ich, ein organisch gewachsener Erfolg.
Das können auch andere schaffen, du kannst es, ich kann’s.
Dann fang doch an.
Du wirst’s schon noch sehen, sagte Ella. Sie zog den Mantel an und schob mit maliziösem Lächeln ein Borderline-Bein in meinen Schritt – da bin ich ganz sicher, mein Lieber, du bist einfach immer nur negativ.
Du träumst die Träume anderer, sagte ich und küßte ihren Hals – das können wir alles noch mal in Ruhe durchsprechen.
Wieder allein, fiel mir auf, daß ich häufiger bestimmte vergangene oder auch gegenwärtige Verhältnisse und Geschehnisse gegenüber Ella mit umständlichen Umschreibungen erklärte. Wahrscheinlich aus Rücksicht auf ihre unberechenbaren Reaktionen – ein Zufallstreffen mit Bekannten von mir streßte sie augenblicklich, im Falle einer Ex-Freundin genügte bereits ein Anruf oder eine bloße Erwähnung, um bei Ella Anspannungen und bizarre Äußerungen zu erzeugen. Ihre übers Jahr deutlicher gewordenen, großen Ängste, in Unterlegenheit zu geraten, beschränkten sich nicht auf gerade stattfindende, alltägliche Situationen. Oft genug unterstellte sie mir begehrliche Blicke, die während unserer Begrüßungsumarmung von mir zur anderen Straßenseite geschickt worden seien – unmöglich bei meiner schwächelnden Sehkraft, dort drüben Mann oder Frau auch nur zu unterscheiden … Von mir unerkannt, ging dort einmal unsere Caféhaus-Friseuse vorbei, was zu einer dramatischen, geradezu unbegreiflichen Szene führte … also schön, hatte Ella gefühlspathetisch wie in einem ZDF -Fernsehfilm gesagt, dann gebe ich dich eben in andere, gute Hände … Überall lauerten Gefahren für Ellas équilibré mental, ob auf der Straße, im Café oder in der Vergangenheit – sie befand sich offenbar im Land der unbegrenzten Bedrohungen. Katja und du, hatte sie vor einigen Tagen mit Blick auf meine im Bad aufgehängte Wäsche erklärt – das wär’s gewesen, ein ideales Paar … allein dieses FußballT-Shirt hier, das sie dir geschenkt hat, das sagt alles …
Mit paranoidem Instinkt hatte sie zuvor nach der Herkunft ausgerechnet dieses älteren, etwas ungewöhnlichen T-Shirts gefragt, das ich gern beim Sport trug; ein langsam verbleichendes, von einem Künstler zu irgendeiner Fußball- WM entworfenes Hemd, darauf ein Ball, ein etwa auf Höhe der Gürtellinie sitzender Dürer-Polke-Hase und das horizontal wie vertikal gedruckte, unter Ballsportlern bekannte Wort »Flankengott« … Selbst lange nach der Trennung ein schönes Geburtstagsgeschenk für einen Mittfünfziger, von Ella mit untermalend zuckendem Becken als vom Bild- und Wortsinn her leicht zu übertragende Hommage gedeutet: der Dürer-Rammler, der Schriftzug Flankengott, die Flanken, also Lenden, natürlich deine und dazu Gott, alles klar.
Eine abstruse Interpretation, wie ich fand, die Logik paradox, ein wieder mal unauflösbares Bündel widersprüchlicher Signale, dazu der süßsaure Irrwitz, noch in einer längst vergangenen Ex-Freundin des Geliebten eine Rivalin zu erkennen … Dabei gäbe es für die liebe Katja den geringsten Grund, meinen Lenden durch ein symbolisches Geschenk zu huldigen …
Ihr Anruf, die unverändert weiche Stimme, die Erzählungen über Dizzi – das alles erinnerte mich an unsere gemeinsame Zeit. Zu Beginn ein wüstes Chaos, vielversprechend für ein Paar, solange wir noch zwischen den Städten pendelten und verschiedene weibliche und männliche Konkurrenz Druck auf uns ausübte … kein einfacher Anfang, besonders für mich. Die modeldünne Katja hatte diesen KingKong-Hang zu kräftigen, großen Männern und konnte sich kraft ihrer Intelligenz und Schönheit die stabilsten Typen zurechtlegen … Wie den noch nicht ganz trennungsbereiten Larsen, den athletischen, fast blindwütig in sie verliebten Anwalt Ecki, der während meiner Abwesenheit öfters besoffen im Schlafanzug mit der Frühmaschine aus Hannover in Tegel einflog, und –
Weitere Kostenlose Bücher