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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ärgerlicherweise – auch den langschwänzigen Bayern-Peter, ganz frisch nach Berlin gezogen und Zapfer hinterm Tresen des »Zwiebelfischs«, dessen Umsatz während seiner Dienststunden trotz Überfüllung um sechshundert Mark vom gewohnten Betrag absank; keiner konnte sein unschuldig-totes Buster-Keaton-Gesicht so überzeugend hinhalten und dem wütend-rätselnden Kneipenbesitzer erklären, daß ausgerechnet während seiner Schicht nicht mehr los gewesen wäre – Abnickeln hieß das Fachwort für diese Form doppelten Kassemachens.
     
    Als Dizzi nach New York ging, mußten Katja und ich zwangsläufig nach einer Bleibe suchen … nach einer gemeinsamen am besten, auf meinen insistierenden Vorschlag hin … Eine schwierige Suche begann, mehrmals sogar zusammen mit zwei-, dreihundert Konkurrenten bei Besichtigungsterminen in Charlottenburg, alles vergebens, bis der Unfalltod eines jungen Lastwagenfahrers uns eine Vierzimmeraltbauwohnung in Schöneberg zuspielte; seine Ehefrau, erklärte der Makler, hätte darin nicht eine Nacht ohne ihren Mann verbringen können und wäre samt Baby noch am Unglückstag verschwunden. Es sollte sehr lange dauern, bis mir klar wurde, weshalb der Einzug in dieses Haus uns in eine schreckliche Lage brachte, warum die neue, schließlich gewollte Situation mich in einer Hinsicht geradezu paralysierte … Die tragische Entwicklung begann, als ich, mit der letzten Fuhre Habseligkeiten aus Hamburg kommend, die erste Nacht in der von Katja bereits etwas hergerichteten Wohnung verbrachte – eine Nacht, in der ich mich vor Bauchweh tatsächlich krümmte. Im Transit-Restaurant hatte mir ein Kellner auf der Toilette eine kostbare DDR -Spezialität angedreht: eine Halbliter-Flasche Wachteleierlikör, auf der gruseligen Alleinfahrt ausgetrunken, dann mit Leibschmerz flachgelegen und somit fürs erste unberührbar geworden.
     
    Von dem Tag an, an dem wir diese Wohnung bezogen, sollten wir niemals mehr zusammen schlafen – und doch weiterhin ein Paar bleiben, einander verständnisvoll zugetan …
     
    Also lagen wir da, jeder für sich attraktiv, beide doof auf die Matratzen gedrückt, ein junges Paar, aufgrund eines mysteriösen, wie herbeigehexten Gehemmtseins vom Sex befreit. Wir lagen da und rätselten, ohne die rechten Worte zu finden, ohne uns den Zustand annähernd erklären zu können und ohne Chance, je wieder in den Sex hineinzukommen … Nacht für Nacht lagen wir wach auf einem ausreichend großen Bett, demselben Bett, auf dem ich mit Régine ganz andere Zeiten erlebt hatte – diese verdammte Zweimalzweimeter-Spielwiese, vor Jahren einem Gangster unter Protestgeschrei seiner Frau in deren schußlöcherreichem Schlafzimmer abgekauft und doch ein Möbelstück, das beim Umzug besser in Hamburg geblieben wäre … Traurige Nächte, versteht sich, mit einem furchtbaren Erwachen für ein Paar, dessen leidenschaftliche Kennenlernphase erst vor kurzem vergangen war und das sich unversehens in einer Josefsehe wiederfand – unfähig und ahnungslos der veränderten Situation ausgeliefert. Der vermeintliche Verschulder, der Irre, der Zärtlichkeiten verunmöglichte, mußte seine Partnerin jeden Morgen mit Worten trösten, sie mit immer unglaubwürdigeren Versprechungen vertrösten, das sei alles vorübergehend, die Gewöhnung ans Zusammenleben dauere eben, die Zeit würde dies schreckliche Problem irgendwann lösen, die blockierten Gefühle wieder befreien … Denn die guten Gefühle füreinander schienen unverändert, die Tage, das Lachen leicht, die Abende sorglos, aber so ging für mich der Sex nicht. Daher blieben die Nächte ohne Berührung, wochenlang, monatelang.
     
    Das Unglaubliche war, daß keine Feindseligkeiten, keine Streitereien entstanden – gut, bis auf einmal, als Katja voller Vorsorge zwanzig Zentner Brikett für die uns Berlinanfängern ungewohnten, monströsen Kachelöfen bestellte, ohne daß wir über einen Keller verfügten; die Kohlenmänner ächzten krächzend aus der siebten Sohle und ließen sich nicht wegschicken. Die in Flur und Berliner Zimmer rasch wachsenden Brikett-Stapel lösten bei mir einen von Kiepe zu Kiepe heftiger werdenden Wutanfall aus; voraussehbar, daß wir die nächsten Monate zwischen Kohlebergen würden leben müssen. An der eigentlichen Kalamität änderte das nichts. Das Enthaltsamkeitsproblem überstieg jedoch nach wie vor unser Erklärungsvermögen – eins der schlimmstmöglichen Probleme, dachte ich damals, eins, das womöglich tiefer reichte

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