Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
Katja – wenn mich nicht alles täuschte – in meinen schwarz zugehängten, stockdunklen Räumen das feine finale Zittern überkommen hatte … um nun eine sonst eher älteren Eheleuten drohende Problematik erleben zu müssen. Doch sie wußte, daß ich sie mit meinem, mir selbst rätselhaften Verhalten nicht mutwillig verletzen wollte, sondern selbst darunter litt.
Auch der nächtliche Bücherfluß hatte sich bald in einen männlichen Arm mit Traven, Lowry, Onetti und einen weiblichen mit Bachmann, Barnes und de Beauvoir geteilt – vor Katjas Bestellung eines Emma-Abos bäumte ich mich ein letztes Mal auf, vergeblich. Schwer zu sagen, ob sich meine sexuelle Blockade wegen der feministischen Tendenzen jener Wochen und Monaten überempfindlicher- oder eher unerfindlicherweise noch verfestigte … Trotz des für einen Dreißigjährigen ungewöhnlichen Handicaps wollte ich nicht, daß meiner Freundin etwas vorenthalten sein sollte – auch nicht das von mir kaum mehr hervorgerufene Gefühl, begehrt zu sein. Das Begehrtwerden gehört ja quasi zu den Menschenrechten: Die meisten brauchen dieses Gefühl doch deshalb, weil sie für besser gehalten werden wollen, als sie in Wirklichkeit sind … Möglich, daß ich ganz gern Schriftsteller oder Philosoph gewesen wäre, während Katja, die alle bestärkende Optimistin, nicht schöner und klüger sein konnte, als sie war. Das sahen andere Männer auch so.
Wenn ich später an diese Zeit zurückdachte, dann stets mit einem Anflug seltsamer Befriedigung … Angetrieben vom schlechten Gewissen gegenüber Katja, wurde damals mein Handeln, mein Denken zunehmend großzügiger, weicher – keine Rückfälle mehr in überholtes Verhalten, bloß nicht als theatralischer 68 er auftrumpfen, statt dessen Verzicht üben; ganz langsam wurde ich vom Satyr, der bisher alles schnell gewollt und gleich bekommen hatte, zum Sehnenden, der auf unbestimmte Zeit warten mußte. Passenderweise las ich Claudels Roman »Der seidene Schuh«, worin zwei Liebende auf zwei Schiffen um die Welt fahren und nur einmal im Jahr einen Blick aufeinander werfen können. Es brauchte Geduld, bis sich alles fügen würde … Zu der Zeit waren wir selten allein, unsere Wohnung wurde offener, immer mehr Männer besuchten uns. Daß wir weiterhin als Paar galten, verunsicherte sie anfangs, doch nach und nach wurden sie bestimmter in ihren Vorstellungen – sie alle wollten Katja näher kennenlernen, sich mit ihr verabreden oder wiederkommen, möglichst bald. Zweifellos interessante Jungs, überwiegend aus dem Kunstbereich, der Hartmann, ein überaus sanft auftretender Filmemacher, angeblich schon in Reichweite der Fördertöpfe, der Dieter, ein bildender Künstler, der winzige Mikromikrofone schluckte und zunächst uns beide donnernde Konzerte aus seinem Magen hören ließ, dazu noch ein stets schweigsam dasitzender Lyriker und der beratende Kunsthistoriker Ulrich, der die Minne-Chancen aller Beteiligten anspielungsreich einordnete. Katjas Bekanntenkreis wuchs täglich, noch mehr Einladungen wurden ausgesprochen, Treffen verabredet … und dann hockten sie in meiner ehemals psychedelischen, violetten Sitzecke, unterhielten sich in Erwartung des einen oder anderen Winks von der Schönheit des Hauses. Die Frage, ob jemand bei Katja vorankam, stellte sich mir nicht – falls ja, wäre es nicht zu verhindern gewesen … ein Spiel mit dem Schicksal eben, aus der Not entstanden und wenig aussichtsreich für die Mitspieler, wie es schien … Andererseits konnten wir beide nicht ewig darauf warten, daß aus unserer trockenen Tragödie eine Komödie mit lustigem Ende werden würde … Also gab ich den guten Gastgeber, bewirtete die Jungs, kochte für sie eine einfache Pasta oder, schon aufwendiger, Spaghetti alla puttanesca, die sich bei der Übertragung aus Dieters Bauch nach sizilianischer Tarantella anhörten. Wobei ich ohne große Bedenken auch mal ein Dinner für zwei in Katjas Zimmer servierte und mich dann zurückzog … ohne genau zu wissen, wer hier von mir gefüttert wurde – ein neuer, gemeinsamer Freund oder ein bereits mehr als ermutigter Nebenbuhler …
Der Schlaukopf Ulrich hatte unsere Beziehung einigermaßen durchschaut und fürs erste literarisch gedeutet: Ihr seid die Schöneberger Antwort auf Sartre und Beauvoir.
Aber seitenverkehrt, hatte ich erwidert – in dem Fall wär ich nämlich die Beauvoir, der, moralisch geknebelt, leer ausgehende und dennoch alles arrangierende Part …
Während
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