Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
dieser Phase hatte ich öfter den Eindruck, daß mich besonders die männlichen unserer Bekannten insgeheim bewunderten. Auch wenn sie nicht an die Idee einer offenen Zweierbeziehung glaubten, an den Gefühlspakt ohne gegenseitigen Besitzanspruch, ohne Rollenverhalten und Bevormundung und all das, so würdigten sie doch, wie ich diese schwierige Situation handhabte. Bei allen lag ja stets die Theorie mit im Bett … jedes Paar diskutierte die verschiedenen Beziehungsmuster. Und in jedem Kopf mußte vor allem der fundamentale Widerspruch zwischen verantwortlichem Zusammenleben und individuellem Egoismus, zwischen ewiger Liebe bei gleichzeitiger Freiheit aufgelöst werden – ein für mich zeitlebens so gut wie unlösbarer Konflikt.
Warum aber die anfangs leidenschaftliche Geschichte mit Katja in diesem geschwisterlichen Zusammenleben enden mußte, wurde mir erst Jahre später bewußt. Von dem Moment an nämlich, als wir beide in die gemeinsame Wohnung eingezogen waren, mußte mir die innere wie räumliche Trennung von Régine endgültig klargeworden sein … eine zeitverzögert kommende, melancholisierende Erkenntnis, in deren Folge gleich zwei Frauen verlorengingen. Und nochmal Jahre später begriff ich, daß ich diese und andere Trennungen offensichtlich durch ein sublimes Zerstörungsprogramm selbst herbeigezwungen hatte, daß ich aus verschiedenen Gründen verlassen werden wollte …
Von diesem gescheiterten Versuch, sich mit einer Frau in die Zweisamkeit einzumieten, hatte ich Ella schon etwas erzählt – inzwischen lag die Geschichte mehr als dreißig Jahre zurück. Seinerzeit zögerten wir die Trennung so lange hinaus, bis schließlich äußere Umstände den entscheidenden Anstoß zur Auflösung der mißlichen Situation gaben. Eines Morgens bekam Katja einen Brief mit der Nachricht, daß sie ihr zweijähriges Stipendium in Cleveland/Ohio sofort antreten könnte.
W ährend des Flugs nach Zürich hatte ich über den bevorstehenden Empfang der Veranstaltungsteilnehmer nachgedacht und spontan entschieden, im allerwahrscheinlichen Falle unseres Vorgestelltwerdens dem Terroristen nicht die Hand zu geben – eine weniger überzeugende als eher hilflose Geste, der Versuch einer Stimmenthaltung. Sie rührte offenbar aus meiner über die Jahre unklaren, ja paradoxen Haltung, linke Gewalt weder kalt bürgerlich ablehnen noch im Sinne eines archaischen Gerechtigkeitsempfindens annehmen zu können. Den Mann selbst kannte ich nur von Bildern länger zurückliegender Talk-Shows, der sogenannte Karl May der Rote-Armee-Fraktion, seit Jahren wieder frei und mir nach den vor einiger Zeit herbeigezappten Fernsehaugenblicken eher unsympathisch in Erinnerung – ein Unding, so ein talkender Terrorist, der die Omertà bricht und sich am Sonntagabend mit eben den Leuten mal so richtig ausquatscht, die früher auf seiner Abschußliste gestanden hätten. Die mit seiner Person verknüpften RAF -Probleme waren ja nach wie vor im kollektiven Bewußtseinsstrom präsent wie Schadstoffe in den Flüssen. Für die Mehrheit als zu vernachlässigende, ausgekühlte Geschichte, für eine Minderheit als Diskussionsgrundlage und mittelprächtige Einnahmequelle.
Nu hab dich mal nicht so, hatte Ella beim Abschied gesagt – ihr dürft euch ruhig die Hände reichen, du und dieser Terrorist seid euch gar nicht so unähnlich, zwei Männer, die viel Böses tun und glauben, auf diese Weise etwas Gutes zu erreichen … Nur ein weiterer ihrer hinkenden Vergleiche, wie ich fand – nein, nein, sagte sie, mit deinen Unterstellungen, deinen ständigen Provokationen willst du doch nichts anderes, als bei mir positive Gefühle erzeugen … Eine irgendwie unpassende, falschgesetzte Analogie, die mir noch in den Ohren klingelte, eine für Ella typische Bemerkung … diesmal vermutlich aus Verärgerung darüber, daß ich diese Reise allein machen würde.
Die Leute hatten mich für fünfhundert Euro eingekauft, für das zweitägige Projekt der Bodensee-Universität – ›Wo wären wir heute, wenn es 1968 nicht gegeben hätte?‹ Natürlich blödsinnig, wie alle Was-wäre-wenn-nicht-Fragen, ein akademischer Zaubertrick vermutlich, der das Datum aushebeln und die immer wieder aufflackernde, angejahrte Deutungsschlacht unterlaufen sollte, um sie nach gängiger Interessenlage aufs neue zu beginnen. Wobei dahinter auch die Absicht stecken konnte, die Bedeutung der komplexen Sache zu verkleinern, um sie demnächst unter den Tisch fallen zu lassen
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