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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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muslimischem Muster also, doch eher moderat zitiert und nicht radikal in mehreren stoffreichen Schlaufen bis zu den Waden durchhängend. In Bewegung wirkte sein Three-Piece durchaus elegant.
    Nach kurzer Autobahnfahrt spazierten wir in eine weiträumige Parkanlage, darin mehrere schloßartige Gebäude am hohen Ufer des Sees, perfekt modernisierte, völlig unbenutzte Wohntrakte, umgeben von englisch anmutender Gartenarchitektur, akkurat geschnittenen Hecken, Kieswegen, im Außenbereich allen zugänglich und bis auf zwei andere Touristen menschenleer an diesem warmen, sonnigen Montag im Mai. Das Areal gehörte der USB , wie Rudolph erklärte, ein Institut dieser Schweizer Bank für die Weiterbildung ihrer Leute – wird gar nicht gebraucht, sagte ich, die wissen eh schon alles. Anschließend gingen wir durch einen tiefer gelegenen, ufernahen Ortsteil von Kreuzlingen und schauten uns neben einigen aufwendig zu Edelrestaurants umfunktionierten, historischen Bürgerhäusern ein Verkaufszentrum für größere Yachten an – Dutzende in Hallen aus Stahl und Glas aufgebockte, imposant hohe Motoryachten, die am alten Dorfrand auf ihre Besitzer warteten. Der noch hunderte Meter entfernt im Morgendunst liegende Bodensee erschien meinen naturentwöhnten Augen wie eine Fata Morgana.
     
    Während der kleinen Führung sprachen wir wenig über die Dinge, die wir hier sahen, und noch weniger über die Zusammenhänge, in denen sie gesehen werden konnten. Ich erwähnte nur kurz, daß mich nach Überschreiten der Rhein-Main-Linie das südlich deutsche oder gar Schweizer Wohlleben, der sichtbare, öffentliche wie private Reichtum noch jedesmal leicht schockierte – eine der Gefühlsbewegungen, die einem heutigen Osthälftenbewohner rein gar nichts nutzte. Die meiste Zeit redeten wir mal mehr, mal weniger ernst über die biographischen Stationen unserer Vergangenheit, wer wann wo und warum seine lebenswichtigen Anlaufpunkte angesteuert hatte und welche bekannten oder prominenten Akteure dabei angetroffen worden waren, die sich im nachhinein als persönliche, schicksalhafte oder auch prestigebringende Einflußgrößen gut erwähnen ließen. Da fielen viele Namen, die jeder kannte, Namen der Vergangenheit, Berühmtheiten, Verstorbene mit Sonderstatus. Der Projektleiter brachte Adornoseminare und seine große Zeit als widerständiger Dozent ins Spiel, der Mitdiskutant hatte mit Holger Meins studiert und aktiv bei der Gründung der ersten antiautoritären Kinderläden mitgewirkt – interessante Laufbahnen in Wissenschaft und Kunst, das reine achtundsechziger Rebellentum, was auch für die noch erwarteten zwei ehemaligen SDS -Vorstände galt.
    Solche Begegnungen verunsicherten mich immer wieder aufs neue. Welche Schmach für einen Generationsgenossen, nicht im Zentrum der studentischen Bewegung gewesen zu sein, welche Zurücksetzung, angesichts dieser von Anderen erlebten Exklusivität! Einmal Dutschke die Tasche getragen, ein, zwei Jahre mit späteren Fernsehphilosophen in der KPD -Aufbauorganisation um Flugblattexte gestritten, das wenigstens mußte es schon sein. Wer wie ich zu einer anderen Sphäre gehörte, wer in der bestenfalls semipolitischen Subkultur zu Hause war, der durfte später eher zuhören als mitreden.
     
    Aber wir wollten unbedingt, daß Sie bei dieser Veranstaltung dabei sind, hatte dieser Rudolph mehrmals gesagt.
     
    Auf mich aufmerksam geworden war er durch einen meiner rückblickenden Radio-Essays über die sogenannten Satteljahre, die Aufbruchszeiten von Pop, Gegenkultur und alldem einst Unangepaßten. Wahrscheinlich hatte Rudolph ein dort geschildertes Underground-Kollektiv gefallen, da es etwas quer zu den klischeehaften Vorstellungen der Studentenrebellion lag und seine dennoch revolutionäre Geschäftsidee als Firma auch umsetzen konnte – eine kaum kaschierte, autobiographisch grundierte Geschichte, in der eine als Hippies zeitgemäß agierende Freundesgruppe in der Musik- und Konzertwelt zu Geld kommt, viel Geld. Das erzählte sich leicht und wurde vom Sender – und offenbar auch Hörer – als wahrhaftig aufgenommen. Dabei war ich früher wie heute bestenfalls ein Schwellenwesen, weder hier noch da wirklich drin und obendrein zu schwach, zu ängstlich, um mich konsequent auszukoppeln und in eine radikal andere, aus dem angloamerikanischen Raum herübergewehte Existenzform zu wechseln. Der Skeptiker in mir wollte lieber keine Ur-Gemeinde gründen, auch keine Landkommune oder ein Inselparadies mit freier

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