Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
Liebe aufbauen und auf die profane Welt verzichten – mir hatte es an Entschiedenheit oder Traute gefehlt, bunte Klamotten und Haare bis zum Rücken zu tragen, Tambourin und Räucherstäbchen für alle und die Einführung von Glaskugeln als Währung zu fordern. Nein, nicht mal zum Hippie hatte es bei mir gereicht … eine – im nachhinein betrachtet – ohnehin nur bedingt akzeptable Lebensweise.
Tolle Sache, was Sie da beschrieben haben, hatte dieser Rudolph am Telefon gesagt – den schmerzlichen Prozeß von der Kommerzialisierung der Subkultur noch mal nachzuvollziehen …
Für ihn gehörte diese Nuance unbedingt in sein Projekt. Die Bodensee-Universität verfolgte eine sehr starke – wie er betonte – ökonomische Orientierung, und der Essay »Wie ich einmal der Kulturindustrie auf die Sprünge half« paßte da hervorragend … Etliche Portale und Blogs hatten den Radiotext zum Lesen ins Netz gestellt, so daß die Studenten seiner Meinung nach auf mehr Einzelheiten der hippiesken Erfolgsgeschichte ganz neugierig wären.
Es ging nicht um Gewinne, hatte ich gesagt, wir waren Beuysianer und keine Börsianer.
Dieser Rudolph wollte in mir einen Berufshippie sehen, einen Hippie a. D., der hier bitte schön unter Beibehaltung seiner Restideologie mitdiskutieren sollte.
Nachmittags vertrödelte ich an der Rezeption etwas Zeit in der Absicht, den gerade eingetroffenen Ex-Terroristen stiekum zu beobachten – bald über mich selbst verärgert wegen dieser Beschatterblicke nach einem unrühmlich Berühmten. Er stand auf dem Treppenabsatz vor dem Hoteleingang, den Reisetrolley noch neben sich, und trug einen hellbeigen Trenchcoat, den eine fortgeschrittene Korpulenz in der Körpermitte etwas ausbuchtete. Sein Kopf war verhältnismäßig klein und die Haare reichten nicht für eine Frisur. Kein schöner Mann, dachte ich, auch keiner, der mir in irgendeinem Sinne als interessant oder sympathisch vorgekommen wäre – vielmehr wie ein nivellierter Sechzigjähriger nach seiner bereits länger zurückliegenden Flucht in die Unauffälligkeit. Für so jemanden hätte er mich – vom Äußeren her – auch halten können, klar. Der Gedanke jedoch, daß dieser Senior mit seiner Desperado-Fraktion einst eine starke Fern-Wirkung auf mich und Teile meiner Generation ausgeübt hatte, erschien angesichts seiner jetzigen Präsenz in jeder Hinsicht bizarr. Er und seine Leute gehörten zweifellos zu den mir aufgezwungenen, problematischen Phänomenen der Geschichte.
Durch die Glastüren war zu sehen, wie die Gastgeber ihn in Empfang nahmen. Rudolph machte uns miteinander bekannt, stellte dabei mich mit wenigen und ihn ohne weitere Worte vor – in dieser etwas schludrigen Kulturbetriebsmanier, die davon ausgeht, daß die Beteiligten bereits vor der Vorstellung eine Vorstellung voneinander haben, was trotz möglicher Prominenz eines oder beider Personen ein erstes Gespräch erleichtert. Und dann passierte es eben, trotz meines Vorsatzes, es nicht zu tun, gaben wir uns für Sekundenbruchteile die Hand – na ja, nichts zu machen, ein Reflex halt, der auch in diesem speziellen Fall griff. Immerhin konnte ich’s mir verkneifen, zu lächeln und zu sagen, angenehm Herr … wirklich nett, Sie kennenzulernen … ich hab schon viel von Ihnen gehört und gelesen. Das Gespräch tendierte eh gegen null, eine angespannte Situation, doch nicht befremdlicher als bei sonstigen Treffen ähnlicher Art, ein paar Sätze über das zu kühle Wetter, die Anreise, die letzten telefonischen Kontakte zwischen Veranstalter und Eingeladenem, versteht sich.
Was noch wäre später erwähnenswert? Sein wackliger, womöglich ängstlicher Blick, die gerötete, ungesunde Gesichtsfarbe, sein zarter, wie unwillig vorkommender Händedruck, mit der langen Zeit im Knast ging der Sinn für gewöhnliche Gesten wohl verloren – dennoch überraschend, so ein Patschhändchen bei einem ehemaligen RAF -Schrauber. Wovon ich nach dessen Abgang auch Rudolph erzählte, um überhaupt etwas über die Begegnung zu sagen, während der nicht einer der Gedanken ausgesprochen werden konnte, die ich gerade wirklich dachte. Eine unangenehme Diskrepanz, wie Rudolph einräumte, doch sie ließe sich durch Veranstaltungen wie die der Bodensee-Universität verringern. Ihm zufolge lief die Diskussion in Nordamerika zur Zeit besser, indem man versuchte, die Konflikte durch neue Formulierungen zu entschärfen – ab sofort sollte anstelle des Begriffs Terrorismus in der
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