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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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waren begeistert, versteht sich.
     
    Das mit dem Garderobenständer sollten wir unbedingt noch einbauen, sagte der Baader-Darsteller, das wird ’ne Superszene.
    Die Zigarettenpause ist vorbei, sagte ich – gehn wir wieder rein.
     
    Was ich seit Beginn des Abends befürchtet hatte, sollte nach und nach auch eintreten – das aus dem Publikum spürbar werdende Interesse galt überwiegend, wenn nicht ausschließlich dem Ex-Terroristen in unserer Mitte. Zuvor gelang es mir gerade noch, mein Achtundsechzig-Statement rüberzubringen und von der Hippiefirma zu erzählen, die entgegen ihrer Anfangsintention als sozialistisch angehauchtes Kollektiv mit elektronischen Lichtspielereien einen Haufen Geld machte – eine beispielhafte Geschichte über die später beweinte Kommerzialisierung des Undergrounds, ja, über die, verschärft formuliert, Kernfusion zwischen rebellischer Gegenkultur und der Kulturindustrie. Dabei wurden die Ideale zur toten Münze, was sich auch spektakulär anhörte, diese Story eines mit Millionen versüßten Scheiterns am eigenen Erfolg, doch für die Studenten einer technisch-ökonomisch ausgerichteten Universität schien das kein großes Unglück zu bedeuten. Wahrscheinlich hielten sie das für die Camouflage eines Wirtschaftstypen, der mit seinem schizzoiden Hippie-Sozialismus hier nochmal hausieren ging, der aus seinem Haß aufs Kapital ein wenig Kapital schlagen wollte und seinen Fünfminutenvortrag mit einer ironisch-verwirrenden Pointe beendete.
     
    Das Revolutionsjahr brachte unserem Land ein paar auch heute noch wichtige Dinge, sagte ich – 1968 wurde die Scheckkarte erfunden.
    Aber nicht von uns, rief Thomas vom SDS dazwischen.
     
    Der Heiterkeitsausbruch folgte prompt – peinlich, peinlich, wenn einem ein fein erlesenes Bonmot im offenen Mund verfaulte. An dem wegen des bisher humorlosen Verlaufs im Saal besonders intensiv ausfallenden Gelächter hatte ich minutenlang zu schlucken – schwer verärgert darüber, von den einst als scharfzüngig gefürchteten SDS -Leuten Jahrzehnte nach Auflösung ihres Vereins doch noch erwischt worden zu sein. So rauschten einige der nächsten Wortmeldungen an mir vorbei wie auch der weiche Einstieg, mit dem Peter auf die RAF zu sprechen kam. Über deren Taten wußten die meisten Teilnehmer hier ausreichend Bescheid – die älteren, nichtstudentischen jedenfalls, das Gros der Studenten sicher auch.
     
    Peter schien die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, indem er mal leise, mal flüsternd suggestiv, dann wieder sachlich klingend erzählte und bald in aller Beiläufigkeit den Satz »… als ich meine erste Bombe baute …« fallenließ – ein Satz, den in einer Diskussion nicht viele Leute sagen konnten, ein unglaublicher Satz, der Anfang eines Fortsetzungsromans, der für Minuten unter meiner Schädeldecke vibrierte. Wer so bildhaft mit dem unsterblichen Bedürfnis nach Anarchie spielte, wer die heimlichen Sehnsüchte nach Rebellentum so direkt ansprach, dem lag doch jedes Publikum zu Füßen – der Ex-Terrorist als langsam in Fahrt kommende Rampensau. Als du deine erste Bombe bautest, hätt ich ihm gerne gesagt, war mein romantischer Glaube an die verändernde Kraft der emanzipatorischen Bewegungen bereits erschüttert, weil Leute wie du, dessen Namen hier keiner ausspricht, für den Anfang vom Ende des fröhlichen Aufbruchs sorgten – okay, okay, es lief ja trotzdem alles weiter, trotz deiner Fraktion, diesem Pfahl im Fleisch der Hedonisten, die uns Generationsgenossen in schwerste Verdrückung brachte, zumindest ein paar Jahre lang …
     
    Abrücken von meinem rechten Nebenmann ging nicht. Also beugte ich mich ein wenig zum links von mir sitzenden Universitätspräsidenten hinüber, um ihm die kleine Ablenkung ins Ohr zu flüstern – ohne diesen Bombenbau hätten wir ’ne Hippiefraktion im Parlament und der Langhans säße im Schloß Bellevue.
     
    Er flüsterte zurück, daß er nichts gegen ein bißchen langhaarigen Glamour habe, aber selbst lieber in Schlips und Kragen in die Uni käme – zehn Herrenanzüge im Schrank wär’n nun mal die problemloseste Art, sich zu kleiden.
     
    Unser Ex-Terrorist erklärte mittlerweile einige Abläufe innerhalb der RAF , der Name Schleyer fiel, was mich wieder konzentrierter zuhören ließ. Demzufolge hatte sich die Gruppe erst nach langen Überlegungen und Recherchen – und keinesfalls aus schlicht hierarchischen, gar beliebigen Gründen – zur Entscheidung durchgerungen, den Arbeitgeberpräsidenten

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