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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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großen Fenster mit älterer Terrorismus-Literatur dekoriert hatte – darunter eine interessante Broschüre, Armed Resistance in West-Germany, all papers of the baader-meinhof-fraction. Doch ein Small talk schien hier unangemessen – für diesen Tischgesellen fiel mir einfach keine passende Bemerkung ein.
     
    War verdammt hart, sagte Peter dann so unvermittelt, als hätte er meine Gedanken gelesen – war alles verdammt hart.
    Danach drehte er sich ein wenig zu mir rüber, um mit fast konspirativ gesenkter Stimme fortzufahren – zweiundzwanzig Jahre Knast, das können Sie sich kaum vorstellen.
    Nur schwer, sagte ich, eigentlich gar nicht.
    Und siebzehn davon in isolierter Einzelhaft.
    Ja, hart.
    Dreiundzwanzig Stunden allein in der Zelle und täglich eine Stunde Hofgang – auch allein.
    Ja, das ist hart, sagte ich.
     
    Natürlich hörte es sich furchtbar an, zumal er die Einzelhaft noch genauer in ihren Einzelheiten beschrieb. Aber es klang auch nach Beklagung eines Schicksals, was die eigene Schuld verringerte und Vorwurfsvolles gegen Unbekannt mitschwingen ließ. Womöglich war ihm nicht klar, daß seine Bombenbastelei moralisch durchaus gerechtfertigt gewesen sein könnte und ihn dennoch zugleich in voller Eigenverantwortung hatte schuldig werden lassen.
     
    Nur zwei Stunden Sprechzeit im Monat.
     
    Was sollte ich in einigen Minuten dazu sagen? Waren er und seine fünfzig Desperados überhaupt so wichtig fürs Achtundsechzigerganze? Er konnte nicht mal andeutungsweise so tun, als hätte er unverdient oder in höherer Mission im Knast gesessen. Jedes seiner Worte, jeder Satz, trug an kontrovers mitzudenkendem Zusatzgepäck – doch es kam nix Grundneues von ihm, keine weiteren Erklärungen, keine Enthüllungen über die Guerillagrößen. Neben mir saß ein unscheinbarer Mann, der sich für immer vom Terror losgesagt und dennoch für immer dafür einzustehen hatte, verfangen in der Täter-Opfer-Verstrickung – ein, trocken gesagt, seltener Unglücksmensch, der wahrscheinlich ahnte, daß er mit seinen Bomben ins neunzehnte Jahrhundert gehörte und ihn nichts und niemand mehr zur Ikone machen würde.
     
    Unsere tischnachbarliche Unterhaltung lief eher schleppend, was den beiden Professorinnen von gegenüber Gelegenheit gab, mit dem doch irgendwie zentralen Gast ins Gespräch zu kommen. Der Abend mit ihm schien sie auf einen Schlag fast vierzig Jahre jünger zu machen. Bei Peters bisherigen Erzählungen hatten sie ihr Mitgefühl bereits des öfteren mit dezent wiederholtem Kopfnicken und zustimmendem Lächeln bekundet – ihr Empathievermögen lag wohl wesentlich über meinem, dem leider unterdurchschnittlichen, einem Handicap in allen möglichen Situationen. Die beiden Frauen sprachen sogar das von ihm in der Diskussion kurz erwähnte Rückenleiden an, das ihn seinerzeit angeblich zu den Drogen hatte greifen lassen, Ärzte oder Krankenhäuser aufzusuchen ging ja nicht. Ihr eigentliches Thema fanden sie dann in der Problematik der westdeutschen Erziehungsheime der fünfziger Jahre – womöglich berührte es die Arbeit in ihren Fachbereichen.
     
    Gewalt, Quälereien, praktisch nahtlos übernommene Nazimethoden – tausende Kinder wurden in diesen Heimen traumatisiert, sagte eine Professorin.
    Wer es schaffte, da rechtzeitig rauszukommen, sagte er, der mußte denen dankbar sein, die ihm dabei geholfen haben.
    Verstehe, sagte ich, im Wissen darüber, worauf er anspielte – aber ich gehörte damals weniger zu den Sozialengagierten, eher zu den hedonistischen Mitläufern, dem letztlich größten der verschiedenen Flügel der 68 er-Bewegung, erst der genialische Pop brachte die wild verwegenen und die moralisch korrekten Strömungen in eins.
     
    Das wilde und das richtige Leben sind nicht deckungsgleich, sagte die andere Professorin, soziales Engagement ist entscheidend …
    Peter nickte.
    Ja, sagte ich.
     
    Warum sollte ein schon ewig zwischen den Klassen und Schichten irrlichternder Einzelgänger hier weiter mitreden? Bei diesem Thema indifferent, inkompetent und daher störrisch, verlor ich die Lust an dem Gespräch. Zusätzlich abgelenkt durch Namensnennungen oder Satzfetzen von Dutschke- und Meinhof-Klatsch, die aus der Tiefe der Dinnergesellschaft teilweise hörbar zu mir drangen – keine Überraschung an diesem Abend, doch auch hier fehlte mir nicht nur das Expertenwissen.
     
    Nach einer Weile wieder zu mir gewandt, erzählte Peter weiter vom Knast und sagte, Schreiben, in der Haft hab ich damit

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