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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Richtungen, als sprühte er aus einer Attrappe geweihte Buchstabensuppe über die Köpfe.
     
    Beim Statement des Hamburger Historikers hörte ich weg, bei der Gründungsgeschichte der Berliner Kinderläden hörte ich wieder zu – allerdings fahrig, wie oft bei vorbeirauschendem Panelgesang, wenn ein Satz mir so zu denken gab, daß ich die nächsten Sätze und manchmal die Kernaussagen einer ganzen Gesprächspassage nicht mitbekam. Peter von der RAF erzählte, wie er als Fünfzehnjähriger in der evangelischen Jugendgruppe zum ersten Mal Filme aus Konzentrationslagern gesehen und dadurch seine politische Richtung gefunden hätte – war ein Punkt für ihn, vermutete ich, im verlegenen, nervösen Ringen um Akzeptanz. Anfangs saß er zusammengesunken klein am Tisch und sprach mit brüchiger, schleppender Stimme, als wollte er nur versuchsweise etwas Unverfängliches beisteuern, um erst mal die Mehrheitsverhältnisse im Saal zu testen und rauszuspüren, wie’s mit der Sympathie für ihn bestellt war. Er hatte bei solchen Diskussionen bestimmt nicht nur angenehme Erfahrungen gemacht. Und heute? Seine Frau managt ihn ganz zuverlässig, erzählte Rudolph.
    Dann erzählte der Präsident von den großen Anti-Atomkraft-Demonstrationen, an denen er sich als Student selbstverständlich beteiligt hatte … in den achtziger Jahren, was daran lag, daß er gerade erst 42 geworden war und daher nicht als 68 er-Zeitgenosse in der Diskussionsrunde saß, sondern als Präsident. Mit seinem verbindlichen bis ranschmeißerischen Ton glaubte er womöglich, erwartbaren Unstimmigkeiten in der Runde von vornherein den Stachel zu nehmen … was meine Sorgen kaum verringerte, hier unter Umständen etwas Falsches zu sagen oder im identifikatorischen Sinne blaß zu bleiben, wenn die Behauptung meiner Protestbereitschaft nicht scharf genug ausfiele. Denn inzwischen mußte jedem klar sein, daß in diesem Seminarraum der Bodensee-Universität eine Gruppe von Leuten diskutierte, die sich im gesellschaftspolitischen Sinne grundsätzlich dem Widerstand zurechnete, der Uni-Präsident eingeschlossen. Und unter dieser Voraussetzung mußte jedem ebenso klar sein, wem auf dem Podium in diesem Punkt der Nimbus der Unerreichbarkeit zukam. Das Publikum schaute von Anfang an auf den Mann, dessen Menschenhand einst Unglück verursachte.
     
    Wie die meisten sich gerade kennenlernenden Raucher sprachen Peter und ich übers Rauchen, als wir in der Pause zum Rauchen vor die Tür gingen. Eine Studentin und zwei ihrer Kommilitonen begleiteten uns, mehr Raucher gab’s nicht. Wie sich herausstellte, schauspielerten die drei in einem Bühnenstück der Theater- AG über die RAF . Logisch, daß sie meinen Mitdiskutanten nun wie eine sich nur mit Mühe zurückhaltende Fangemeinde bedrängten, um ihre Fragen loszuwerden. Ein dürrer, langhaariger Schmachthaken, vielleicht zwanzig Jahre alt, sollte den Baader spielen und wollte unbedingt etwas Unbekanntes, Privates, Charakterliches über die von ihm zu verkörpernde Figur wissen.
    Ja, wie war der, sagte Peter und schaute in die aufs schönste neugierigen Gesichter, der war auch anders.
    Erzählen Sie, bitte, erzählen Sie doch irgend etwas.
    Nur eine kurze Geschichte, sagte Peter, wenn’s denn der Theaterkunst dient.
     
    Sie spielte in Köln, ziemlich am Anfang seiner Bekanntschaft mit der Gruppe.
     
    Wir brauchten Geld für verschiedene Projekte, erzählte er, wollten in Köln ’ne Bank machen, zu fünft, glaub ich, und der Baader sagte vorher, wenn’s weniger als zehn Mille bringt, dann haben wir Pech gehabt und hauen das hier sofort auf den Kopp … und tatsächlich, es war’n nur knapp zehntausend, na ja, damit gingen wir in eine Bar, legten dem Wirt die Kohle hin, er solle die anderen Gäste rauswerfen, wir wollten in Ruhe allein unter uns feiern. Was dann ein bißchen ausuferte, und gerade als Baader in inniger Umarmung mit einem Garderobenständer tanzte, beschloß der Besitzer, Schluß zu machen und uns rauszuschmeißen … eine idiotische Idee von dem Mann, denn einmal in Partylaune, konnte uns nichts davon abhalten, den Laden feierlich in seine Einzelteile zu zerlegen, bezahlt war’s ja … Aber erst richtig was zu lachen gab’s am nächsten Morgen, als wir im Hotel die Zeitungen lasen, der Express schrieb »Rockerbande zertrümmert Kölner Bar« … ja, wunderbar, so Peter am Ende seiner Geschichte, das war Baader, immer konsequent, lustig und zart, alles andere ist ja bekannt.
     
    Die drei Studenten

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