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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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begonnen, das einzige, was einem dort hilft, ist das Schreiben.
    Verstehe, sagte ich, nicht nur dort.
     
    Mir fiel Wittgensteins Satz ein, die wichtigste Voraussetzung fürs Schreiben – so ungefähr – sei das Aushalten der Gefangenschaft im Zimmer … Doch ich erwähnte diese unter normalen Existenzbedingungen gewonnene und von mir geteilte Erkenntnis nicht. Sie ließ sich auf Peters Situation nicht übertragen.
     
    Meinen ersten Roman hab ich da geschrieben, sagte er, über einen Jungen aus einfachen Verhältnissen, der in den Terrorismus gerät, später zweifelt … vor acht Jahren erschienen.
    Oh, sagte ich, das ist mir leider entgangen …
    … macht nichts, bin gerade dabei, meinen zweiten zu beenden, höchste Zeit, Termine stehen fest … aber die Arbeit zieht und zieht sich …
    … ja, das kann ich mir vorstellen, Romane dauern …
    … und die Termine drücken. Das Buch wird am 1 . September erscheinen und der Drehbeginn für seine Verfilmung ist eine Woche später, ’ne knappe Woche später, am 6 . fangen sie an, der erste Drehtag steht fest.
    Das geht aber fix.
    Der Film soll im nächsten Frühjahr ins Kino kommen.
    Ist ’ne gute Zeit jetzt für solche Stoffe …
    … Aber noch nicht zu Ende gebracht, die Geschichte …
    … Ja, verstehe …
    … die Geschichte eines älteren Terroristen, der, nach zwanzig Jahren im Knast wieder in Freiheit, auf wahnsinnig viele Probleme stößt …
    … Ja, klar, dem dürfte vieles Alltägliche unbekannt sein, die Scheckkarte beispielsweise …
    … das hab ich gehört vorhin.
     
    Die beiden Professorinnen übernahmen erneut das Gespräch – bald dabei auch Moderator Thomas, der seinen Platz nach dem Essen häufig wechselte, um mit möglichst vielen Beteiligten zu reden. Alle drei vermieden, die den ganzen Abend mitzudenkenden, gewalttätigen Vorkommnisse anzusprechen, die unter Peters erwiesener Mitwirkung geschehen waren – das wirklich Schlimme, Deprimierende, erklärte eine der Frauen einmal, sei die Art gewesen, wie der Staat am Ende mit den Mitgliedern der Fraktion umgegangen wäre. Und von der anderen Professorin kam die ziemlich umwerfende Feststellung: Jede Straftat ist schließlich eine verunglückte Problemlösung. Peter lächelte dem Satz mit wiegendem Kopf hinterher.
     
    Unglaublich, dieser Kerl, dachte ich, ihm gelang, wovon wahrscheinlich die meisten Schriftsteller träumen – verfilmt zu werden, gleich mit dem ersten oder zweiten Roman! Thomas Leiser hatte sechs sehr gute Romane geschrieben – offenbar sechs geglückte, filmisch aber eher uninteressante Problemlösungen. Dank der bigotten Kulturindustrie, die längst Aufgeklärtes mit untauglichen Mitteln noch einmal aufzuklären vorgibt, hatte Peter von der RAF bei ihr offenbar bessere Chancen. Und was war mit mir? Welche verunglückten Problemlösungen waren mir geglückt? Ein paar harmlose Drogenkonflikte und nur eine gefahrvollere, beinahe schiefgegangene Geschichte im selben Sektor. Dazu einige schon Ewigkeiten zurückliegende Steuerhinterziehungen im fünfstelligen Bereich, weswegen sich mein Hamburger Steuerberater vorzeitig verabschiedet hatte – die von mir Jahr für Jahr vorgelegten Bilanzen mit den unglaubwürdig hohen Verlusten könnte er gegenüber dem Finanzamt Schlump nicht mehr verantworten. Am Ende war diese verunglückte Problemlösung einer der Gründe, nicht nur aus dem Zuständigkeitsbereich dieses Finanzamts zu verschwinden, sondern vorsichtshalber gleich ganz aus der Stadt.
     
    Ein Haus in Italien, sagte Peter, wieder mir zugewandt – letztes Jahr hab ich ein Haus in Italien gekauft.
    Na toll, sagte ich, ein Traum.
    Nur ein kleines Haus, gar nicht so teuer, in der Toskana, bei Grosseto, keine zwanzig Kilometer bis zum Meer …
    … kenn ich, die Gegend, dorthin hat’s ja auch einige Politiker von der Toskana-Fraktion verschlagen, sehr schön …
    … ein kleines Wohnhaus mit ein paar hundert Walnußbäumen auf dem Grundstück …
    … da gibt’s doch was zu ernten, ein Zentner Nüsse pro Baum …
    … neinnein, die sind nicht gepflegt, alles ist ziemlich verwildert …
    … wie schön …
    … da wartet viel Arbeit in Haus und Garten, sagte er – nächste Woche geht’s los, wir haben den ganzen Sommer Zeit …
    … ja, traumhaft, sagte ich, einfach wunderbar.
    Gab es einen Grund, an dieser Stelle mit dem Schicksal zu hadern? Sich über eigene Versäumnisse zu ärgern oder gar neidvoll einzuräumen, hier habe jemand seinen Lebensplan letztendlich besser

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