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Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition)

Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition)

Titel: Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Pötts hatte ihn zu sich genommen, hatte sich um ihn gekümmert, ihn in die Geheimnisse seines Standes eingewiesen.
    Absolon betastete unwillkürlich seine vernarbte, taube Gesichtshälfte. Magister Pötts war ein strenger Lehrmeister gewesen – streng, aber gerecht. Fehlverhalten wurde hart bestraft. Kinder brauchten eine harte Hand, die ihnen den rechten Weg wies. Und nun war es an Absolon zu beweisen, dass Magister Pötts‘ Vertrauen in seine Fähigkeiten gerechtfertigt war, dass er seine Zeit nicht an seinen Schüler verschwendet hatte.
    »Es wird gelingen«, sagte er und machte sich daran, den Schädel aufzusägen.
    Magister Pötts stöhnte leise, bewegte sich aber nicht. Absolon hob die Schädeldecke ab, löste die Hirnhaut mit einem scharfen Messer und durchtrennte die Rückenmarksverbindung. Dann entnahm er das Gehirn, das schon eine leicht gräuliche Färbung angenommen hatte. Es war wirklich höchste Zeit gewesen! Noch ein Tag und das unersetzliche Wissen seines Meisters wäre für immer verloren gegangen. Er ließ das Gehirn vorsichtig in den flüssigen Aether gleiten. Die Nervenzellen reagierten sofort auf die Stromstöße. Magister Pötts lebte!
    Absolon verschloss das Ætherbecken und strich fast zärtlich über den Silberdeckel. Dann faltete er die stinkenden Laken über Magister Pötts Überresten zusammen und verbrannte alles im Ofen. Um die Knochen würde er sich später kümmern.
    Es juckte ihn in den Fingern, weitere Versuche an der Materia zu unternehmen, doch er zwang sich, zu warten. Geduld, hörte er die Stimme seines Meisters und fast spürte er dessen Handfläche auf seinen Hinterkopf klatschen.
    »Morgen«, flüsterte er. »Morgen wird es gelingen.«
    Er goss sich einen Cognac ein und machte es sich in seinem Sessel bequem. Mit geschlossenen Augen tastete er nach dem Kästchen, das er tief in seinem Geist verwahrt hatte, und öffnete den Deckel. Im Laufe der Jahre hatte er einen wahren Schatz an Erinnerungen gehortet. Er holte den Geruch des Mädchens hervor und erfreute sich eine Weile an ihm. So frisch und neu war er noch, kaum abgenutzt. Dann grub er tiefer in der kleinen Truhe und fand Feuer, süßen Schmerz und etwas, das so alt und verblasst war, dass er es kaum noch greifen konnte. Zärtlichkeit. Er spürte ihre Hände auf seinem Körper, ihre Lippen auf seinen Wangen, roch ihren unvergleichlichen Duft nach warmem Apfelkuchen und Buchenrauch. Und dann flüsterte sie seinen Namen.
    Ein Zittern schüttelte Absolons Körper und er schleuderte die Erinnerung zurück in den Kasten und schlug den Deckel zu, bevor er den feuchten Geruch der Steintreppe wahrnehmen konnte, auf der sie den Korb abgelegt hatte, in dem er fror und aus Leibeskräften schrie, bis ihn jemand in die Dunkelheit trug.
     
    Am nächsten Tag überprüfte Absolon seine Berechnungen und veränderte die Zusammensetzung der Nährlösung geringfügig. Er gab noch einen Teil flüssigen Aether hinzu. Nun fehlten nur noch die Materia und das Versuchsobjekt.
    Magister Pötts war wohlauf und gutgestimmt. Die Großhirnrinde schimmerte rosig, als Absolon über das Aetherbecken streichelte. »Ich bin bald zurück«, sagte er. »Und dann wird uns der entscheidende Schritt gelingen.«
    »Wähle mit Bedacht, Absolon, lass nicht die Ungeduld über dein Handeln bestimmen.«
    Absolon zuckte zusammen. Magister Pötts‘ Stimme schien direkt in seinem Kopf zu sprechen. »Natürlich, Meister«, antwortete er. »Ich werde Euch das beste Menschenmaterial bringen, das für Geld zu bekommen ist.«
    Er warf sich den Mantel über die Schultern und überprüfte seine Börse, in der sich mehr als genug Geld befand, um drei Kinder zu kaufen. Aber er benötigte nur eins.
     
    Mit gesenktem Kopf durchquerte er den überfüllten Schankraum. Niemand rempelte die gedrungene Gestalt an, unwillkürlich wichen die Betrunkenen zur Seite, sobald er ihnen nahe kam. Absolon lächelte in sich hinein. Diese Aura, die die Menschen sich abwenden und den Blick senken ließ, sobald sie seine Nähe spürten, hatte ihn als Kind angeekelt. Er hatte sie gehasst und er hatte sich selbst gehasst, doch Magister Pötts hatte ihn gelehrt, seine Besonderheit als das anzunehmen, was sie war: Ein Geschenk, das die meisten Menschen nicht verstanden. Ihre ekelerfüllten Gesichter hatten ihn mehr geschmerzt, als die Steine, die sie nach ihm warfen, doch jetzt wusste er das Geschenk zu schätzen. Es gewährte ihm Freiheiten, die nicht mit Gold aufzuwiegen waren, nicht mit

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