Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition)
darüber nachdenken.«
Van Rijn verschränkte die Arme vor der Brust. »Was?«
»Lass uns später darüber reden«, Absolon deutete nach vorne, »das Spektakel beginnt.«
Der Vorhang hob sich und ein Kleinwüchsiger in einer schwarzen Nonnentracht betrat die Bühne. »Verehrte Gäste«, sagte er. »Es ist mir ein vorzügliches Vergnügen, an diesem wundersamen Abend vor euch zu stehen und in eure schweinebackigen Gesichter zu sehen.« Jemand grunzte und der Zwerg kratzte sich das stoppelige Kinn. »Ich hoffe, eure Börsen sind so fett wie eure Wänste.«
»Zeig mal, was unter deiner Kutte steckt!«, rief jemand aus dem Publikum.
Der Zwerg faltete die Hände vor dem Bauch. »Ich darf doch bitten!« Er räusperte sich und spuckte auf den Boden. »Äh … Also: Ihr feisten Freunde des frischen Fleisches, der allseits beliebte Auktionator wird in Kürze bereit sein. Bis es soweit ist, werde ich euch mit einigen feinsinnigen Versen beglücken.«
»Verpiss dich, Schwester Camillo!«
Ein Glas traf den Zwerg am Kopf und er torkelte rückwärts. Er wischte sich das Blut von der Stirn und richtete seine Haube. »Banausen!« Er duckte sich und das nächste Glas knallte gegen die Bretterwand hinter ihm.
Magister Van Rijn lachte und Absolon schüttelte den Kopf. »Was an diesem widerwärtigen Schauspiel belustigt dich? Die Missgeburt, die sich selbst erniedrigt und es nicht einmal bemerkt? Das ist ekelhaft.«
»Ich habe einen roten Cölner gewettet, dass Camillo die ersten fünf Minuten seines Auftritts überlebt. Die Quoten standen 5:1, dass ihn heute jemand tötet, bevor er den ersten Satz zu Ende gesprochen hat.« Mittlerweile waren ein Stuhl und zwei weitere Gläser auf die Bühne geflogen und etwas, das aussah wie ein Gebiss. Camillo wehrte alle Geschosse ab und versuchte dabei möglichst würdevoll auszusehen. Magister Van Rijn wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel und sah Absolon an. »Du solltest wirklich etwas lockerer werden, das ist doch ein Heidenspaß!«
Spaß. Absolon war nicht belustigt. Der Zwerg wich langsam zurück, die Hände schützend vors Gesicht gehoben, und Absolon sah sich selbst, in einer engen Gasse, die Knie aufgeschürft, die Nase blutend, und eine Horde Kinder, die Worte nach ihm warfen, die härter und schmerzvoller waren, als die Steine, die auf seinen Körper prasselten. Friss Dreck, Absolon! Na, wie schmeckt dir das? Er spürte den Unrat zwischen seinen Zähnen knirschen und den Geschmack von Urin und Kot, den beißenden Schmerz der Demütigung.
Camillo rappelte sich auf und wischte sich Rotz und Blut von der Nase. Trotzig hob er den Kopf und schrie über das Lachen und die Beschimpfungen hinweg:
»Ein Mädchen stand am Waldesrand,
in ihrer Hand trug sie ein Häschen …«
Das Getöse im Saal übertönte seine Worte. Ein bärtiger Hüne riss eine der Bänke aus ihrer Verankerung und schleuderte sie auf die Bühne. Eine der Lampen ging zu Bruch und die Nonnentracht des Zwergs fing Feuer. Er hüpfte und schlug auf die Flammen ein. Die Zuschauer grölten. Absolon erhob sich von seinem Platz und zog ein kleines Fläschchen aus der Manteltasche, warf es auf den Zwerg und traf ihn an der Brust. Es gab eine ohrenbetäubende Explosion. Einige der Anwesenden warfen sich auf den Boden, die Bühne war in eine Rauchwolke gehüllt. Als der Rauch sich verzogen hatte, war Camillo verschwunden, nur seine Schuhe blieben zurück, aus denen grünlicher Qualm waberte.
»Verdammt!« Van Rijn wischte sich einen Finger von der Schulter und sah Absolon vorwurfsvoll an. »Bist du verrückt geworden? Du hast mich um meine nächsten Wettgewinne gebracht! Wer weiß, wer zukünftig vor den Versteigerungen auftreten wird?«
»Die Aufführung hat mich gelangweilt«, antwortete Absolon und setzte sich wieder hin. »Meine Zeit ist zu kostbar, um sie mit solch einem Schmierentheater zu verschwenden.«
»Aber musstest du Camillo denn gleich …« Van Rijn verstummte.
Die Zuschauer hatten ihre Plätze eingenommen und es war still geworden. Ein blaues Leuchten erhellte die Bühne. Absolon reckte den Hals, um besser sehen zu können. Jemand hatte die Schuhe des Zwergs fortgeräumt und die Scherben beseitigt. Fluoreszierender, blendend weißer Qualm waberte über die Bühne.
»Meine Güte«, murmelte Absolon. »Ich weiß nicht, wie viel Schmierentheater ich heute noch ertragen kann.«
Der Hüne, der die Bank auf Camillo geschleudert hatte, drehte sich zu ihm um und zischte ungehalten. Van Rijn legte die
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