Gwen (German Edition)

Sommer.
    „Gwen O’Connor ?“, wurde sie schließlich von einer jungen Frau schüchtern angesprochen.
    „Ja ?“ Gwen blickte auf.
    „Nach den Bildern in den Survival News musst du es sein“, erklärte die junge Frau. „Nur hätte ich gemeint, du wärst größer.“ Sie reichte Gwen ihre Hand. „Willkommen in den Vereinigten Staaten! Ich bin Pat Zinnberg.“
    „Pat?“ Gwen ergriff ihre Hand und erhob sich. „So heißt auch mein Vater.“
    „Wirklich?“
    „Ja.“
    Pat deutete auf den Koffer. „Ist das dein restliches Gepäck? Das Übrige wird morgen abgeholt. Das habe ich schon organisiert.“
    „Das ist sehr freundlich. Vielen Dank!“
    „Gehen wir?“
    Gwen bestand darauf, den Koffer zu tragen und überließ Pat Zinnberg ihre Tasche. Während sie das unübersichtliche Gewühl des Flughafens durchschritten, beobachtete Gwen ihre Survival-Mitkämpferin genauer. Diese war ein eher blasser Typ, genauso groß wie Gwen und mit burschikosem Gang. Ihre dunkelblonden, nicht ganz schulterlangen Haare schwangen sich zu einer frisch geföhnten Frisur auf und ließen sie zusammen mit dem dezenten Make-up, dem dezenten braunen Hosenanzug und dem dezenten Schmuck eher wie eine Business-Lady als wie eine Umweltaktivistin aussehen.
    Beim Verlassen des klimatisierten Flughafens lief Gwen gegen eine unerwartete Wand aus Lärm und feuchtschwüler Hitze. Davon ungerührt ging Pat quer über den riesigen Parkplatz zu einem blauen Auto, in dessen Kofferraum sie Gwens Gepäck verstauten.
    Gwen nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Der schneidende Unterschied zwischen schweißtreibe nder Temperatur draußen und Klimaanlage im Wageninneren ließ sie frösteln.
    Pat lenkte das Auto aus der Parkbucht. „Und wie war der Prozess? Die Sonderausgabe der Survival News hat so euphorisch darüber berichtet.“
    Bereitwillig gab Gwen eine Zusammenfassung der Ereignisse und registrierte m it Genugtuung Pats schockierte Entrüstung über die geplante Wiedererrichtung der Statler-Werke in einem Ort in Florida namens Catnecktown . Den Vorfall mit dem Verbrecher- ABC und Produkt 4 erwähnte Gwen allerdings nicht. „Und jetzt erzähl von dir, Pat! In London weiß man recht wenig über dich und Survival USA.“
    Ungeachtet des Höllenverkehrs chauffierte Pat den Wagen sicher durch das Straßengewirr der New Yorker Außenbezirke. „Ich bin von Beruf Tierärztin und habe an der New Yorker Universität gearbeitet, doch meine Forschungsstelle ist wegrationalisiert worden, obwohl meine Doktorarbeit dort noch nicht abgeschlossen ist. Jetzt stehe ich da ohne Job mit einer halbfertigen Doktorarbeit, die längst hätte fertig sein können, hätte mein Professor nicht seine Freude daran, sich mit einer unnötigen Korrektur nach der anderen zu verkünsteln.“
    „Ich weiß, wie das ist“, seufzte Gwen. „Ich habe auch meine Doktorarbeit und meine Assistentenstelle schneller verloren, als ich bis drei zählen konnte“, sie warf Pat einen bedeutungsschwangeren Blick zu, „nachdem Dirk Statler mit meinem Professor telefoniert hatte.“
    Pat nickte grimmig. „So ein Schwein! Aber genützt hat es ihm nichts.“
    „Nein, nichts. Das heißt, du bist beruflich genauso ungebunden wie ich. Das ermöglicht es uns, in Florida vor Ort zu agieren. Oder bist du verheiratet und hast Kinder?“
    „ Nein, ich bin Single. Mein erster Freund war krankhaft eifersüchtig. Als er anfing, mich zu schlagen, habe ich ihn rausgeschmissen. Mein zweiter war verheiratet, wie ich irgendwann zufällig mitgekriegt habe. Und mein letzter brauchte nur jemanden, bei dem er sich ausheulen konnte, doch das tat er nicht nur bei mir, sondern bei sämtlichen Frauen der Veterinärmedizinischen Fakultät. Seitdem habe ich die Nase voll.“
    „Mein derzeitiger Verlobter“, trumpfte Gwen auf, „ist homosexuell. Und meine Studentenliebe hat nicht mal das erste Examen überdauert. Ein anderer Mann, den ich geliebt habe, kann mit Kaulquappen mehr anfangen als mit mir. Und der Vierte ist … Dirk Statler.“ Sie wusste nicht, warum sie dieses Geheimnis, das nicht einmal Maureen oder Helen kannten, einer Frau anvertraute, die ihr vor noch nicht mal einer Stunde das erste Mal begegnet war, doch in dieser kurzen Zeit hatte sie zu Pat eine solche Vertrautheit entwickelt, die sie bisher nur Tony entgegengebracht hatte. Vielleicht, weil ihrer beider Schicksal sich stark ähnelte. Und weil die gemeinsame Zukunft sie jetzt schon zu einer Einheit zusammenschweißte.
    „Oh, Gott !“, stieß Pat