Gwen (German Edition)
zurück, ebenfalls lächelnd.
„Ich warte auf deine Story “, sagte er.
„Machen wir einen kleinen Spaziergang um den Block“, schlug sie vor.
Sie gingen den Gehsteig entlang. Gwen ließ es sogar zu, dass Dirk dabei den Arm um sie legte. Sie begann zu erzählen: „Tony ist ein Großneffe der Großmutter von Ians Cousin mütterlicherseits. Er stammt ursprünglich aus Derry und ist erst später nach Belfast gezogen. Wir spielten als Kinder zusammen, Ian, Tony und ich. Damals schon habe ich ihn lieb gewonnen, fast so wie Ian und auf die gleiche geschwisterliche Weise. Nur dass Ian mehr ein Spielkamerad war, mit dem man Pferde stehlen konnte, und Tony war mehr jemand, mit dem man reden konnte. Stundenlang saß ich mit ihm auf den Klippen, um über Politik zu diskutieren, über Literatur, über Lyrik, über unsere Träume und Überzeugungen. Wie waren sehr offen und vertraut miteinander, auch als Erwachsene. So gestand er mir einmal seine Vorliebe für Männer.“
Sie überquerten die Straße und gingen auf der and eren Seite weiter. „Und?“, drängte Dirk.
Als Gwen kurz zu ihm aufsah, war ihr Blick traurig. „Er schä mte sich, denn er litt unter seiner Neigung. Er hat geweint, und ich habe ihn in den Arm genommen und getröstet. Trotz seiner Jugend war er damals schon so etwas wie ein Führer innerhalb der IRA. Nur sind meine irischen Landsleute leider stark von der vormittelalterlichen Sexualmoral der Kirche beeinflusst und entsprechend homophob. Vor zehn Jahren bedeutete das mehr noch als heute, dass die Männer nie einen Homosexuellen als Führer akzeptiert hätten. Ich wollte Tony jedoch helfen, seine Pläne zu verwirklichen. Er besuchte IRA-Häftlinge im Gefängnis, half deren Frauen und Kindern, organisierte Nachbarschaftshilfen, verschaffte arbeitslosen Jungendlichen Jobs. Er durfte einfach diesen Einfluss nicht verlieren, das verstehst du doch, oder?“
Dirk begann langsam zu kapieren. „Soll das heißen, du hast dich mit ihm verlobt, um vorzutäuschen, er wäre hetero, damit er seine Machtposition in der IRA nicht verliert?“
„Natürlich! Es g ab damals viele Richtungen in der IRA, gewalttätige wie idealistische. Tony verkörpert die idealistische Fraktion mit Solidarität, Hoffnung, Fortschritt. Ich musste ihm einfach helfen.“
„Und du hast ihm die ganzen Jahre die Treue gehalten, nur damit seine IRA-Kumpels nicht checken, dass er schwul ist?“ Dirk konnte es noch immer nicht glauben.
„Das klingt so, als hätte ich mich dafür aufgeopfert, doch das stimmt nicht. Tony hat darauf b estanden, dass die Verlobung gelöst wird, sobald ich einen anderen Mann heiraten will. Doch in der ganzen Zeit habe ich keinen Mann zum Heiraten gefunden.“
Dirk blieb stehen, schlang seine Arme um ihre Taille und sagte: „Dass du verrückt bist, h ab ich schon immer gewusst. Aber du bist noch verrückter als ich dachte.“
Plötzlich fing sie an zu lachen. Sie lachte und lachte, bis Dirk fragte: „Was ist daran so k omisch?“
„Ich muss nur gerade an vorhin denken“, kicherte sie, und der Humor von tausend irischen K obolden blitzte in ihren Augen, „wie du verzweifelt versucht hast, dich hinter mir vor Tony zu verstecken, das war ein Bild für die Götter! Ich musste mich so beherrschen, um ernst zu bleiben und hätte mich kringeln können vor Lachen.“
Und das tat sie jetzt. Sie kringelte sich vor L achen und hielt sich dabei an Dirks Arm fest.
Zuerst ärgerte sich Dirk ein bisschen. Aber dann ließ er sich von ihrem melodischen Gelächter anstecken und lachte sich gleichzeitig seine gigantische Erleichterung darüber von der Seele, dass nichts zwischen Tony und Gwen war.
Dann schüttelte er den Kopf. „Mich so tierisch reinzulegen! Du gehässiges, verdammtes, kleines Miststück!“
„ Sommersprossiges hast du vergessen.“ Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen.
Eng umschlungen gingen sie weiter. Was für eine Frau! Eine Frau zum Wahnsinnigwerden . Sie näherten sich Dirks Leihwagen. Kinder spielten Fußball mit einer Coladose. Es regnete nicht mehr, und der Himmel leuchtete in fantastischen Grautönen. Was für ein tierisch herrlicher Tag!
Am Auto angekommen fragte Dirk: „Was wirst du jetzt machen? Wie kann ich dich finden, wenn ich dieses ABC-Problem erledigt habe?“
„Ich fahre zuerst einmal nach London in die Survival-Hauptzentrale“, antwortete sie.
Dirk spottete: „Zu den bösen Briten?“
„Im Gegensatz zu vielen meiner Landsleute habe ich keine Vorurteile.
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