Gwen (German Edition)
Tauben jedoch nicht davon abhielt, ihren Kot respektlos auf den erlauchten Häuptern abzusetzen.
Gwens Herz pochte wie verrückt.
Obwohl sie ihn erwartet hatte, fuhr sie zusammen, als er aus dem Schatten des Denkmals trat. Sofort schossen die unterschiedlichsten Impulse in ihrem Kopf herum wie Sauerstoffradikale in einer Sondermülldeponie: Wegrennen, ihm die Augen auskratzen, in seine Arme fliegen … Gwen tat nichts von alledem, stand nur da. Reglos. Er genauso. Selbst die Pinien schienen ihre Photosynthese anzuhalten. Gwen spürte Dirk Statlers Blick bis in ihre Blutzellen hinein.
„Und wo ist die Kohle?“ Brendas glockenhelle Frage drang wie aus einem Paralleluniversum an Gwens Ohr.
Ohne seine Augen von Gwen zu wenden , reichte Dirk Statler Brenda den Aktenkoffer, den er in der Hand hielt.
Das Mädchen ließ den Verschluss aufschnappen, warf einen Blick hinein und verschloss den Koffer wieder. „Ich muss nicht nachzählen, oder?“
„Nein, das musst du nicht.“ Der Klang seiner tiefen Stimme dröhnte in Gwens Ohr wie der Donnerhall eines Blitzeinschlages.
Brenda nickte und hüpfte davon wie das Mädchen , das sie irgendwo in sich noch immer war. Gwen war mit Dirk Statler allein.
„Gwennie!“
Das Wahnsinnsgefühl , sie wieder zu haben - endlich wieder zu haben - drohte ihn umzunieten wie Rollsplitt unter einem Bike. Er riss sie in seine Arme. Hielt sie fest. Hielt sich an ihr fest.
Er wollte sie schütteln, anschreien und ihr den Arsch versohlen. Weil er vor Sorge um sie fast durchgedreht war. Weil sie so idiotisch gewesen war, sich in einem gottverdammten zugigen Schuppen im gottverdammten alten Industriegebiet zu verkriechen. Weil ihr da alles Mögliche hätte passieren können. Aber alles, was Dirk rausbrachte, war: „Verdammt, Gwennie!“ Dass sie sich dabei an ihn schmiegte, schlug tief rein in seine offene Deckung.
Cool bleiben !, befahl er sich.
Dirk nahm Gwennie bei der Hand und zog sie zu seinem Jeep. Er machte die Tür zum Rücksitz auf, schob Gwennie rein und knallte schnell die Tür zu. Die Kindersicherung war drin, also konnte sie unmöglich raus. Höchstens nach vorne, aber da würde er schon aufpassen. Schnell setzte er sich hinters Steuer und fuhr aus der Parklücke auf die Straße.
Jetzt musste er Gwennie nur noch zum Rohstofflager bringen, ohne dass jemand sie sah. Wenn die Fernsehtypen das spitz kriegen würden, würden sie ihn in der Luft zerreißen. Aber Doris würde schon dafür sorgen, dass sie im großen Konferenzraum blieben. Von dort hatte man keine Sicht auf das Rohstofflager. Und sobald die Reporter sich verdrückten, würde er Gwennie nach Miami schaffen. Und im Privatflieger auf die Bahamas. Dirk hatte dort eine Villa gemietet, wo seine Männer und Doris Gwennie rund um die Uhr bewachen und beschützen würden. Die Hütte war abgelegen, luxuriös und leicht zu verteidigen. Mit Pool, Sauna und Blick aufs Meer. Gwennie konnte sich echt nicht beschweren.
Ein Blick in den Rückspiegel zeigte ihm, dass sie ohne Zicken dasaß, ihre Handtasche auf dem Schoß. Sogar angeschnallt hatte sie sich. Eine Scheißangst kroch plötzlich seinen Nacken hoch. Warum tobte und beschimpfte sie ihn nicht? Schließlich war er der, der sie eingelocht hatte in den Knast. Und jetzt würde er sie wieder einsperren, das war ihr doch klar, oder? Aber sie hockte einfach so da, als wäre sie auf ’ner Besichtigungstour. Irgendwas stimmte da nicht. Dieses Sanfte, dieses Gefügige - das war nicht Gwennie.
S ie stand unter Drogen! Ja, so war es. Das blonde Mädchen war nur ein Strohmann gewesen, benutzt von irgendwelchen Typen, vielleicht ihren Eltern, die Gwennie unter Drogen gesetzt hatten, damit sie das hier willenlos mitmachte. Mit einem leisen Fluch hielt Dirk am Straßenrand und beugte sich nach hinten. „Bist du in Ordnung, Gwennie?“
„Ja“ , sagte sie.
So verdammt ruhig, dass er besorgt nachfragte: „Soll ich dich ins Krankenhaus bringen? Haben die dir irgendwas verabreicht?“
„Nein.“ Ihre Augen hatten diesen grünen Irland-Blick drauf, den man unmöglich deuten kon nte. „Ich brauche kein Krankenhaus. Ich will in deine Wohnung.“
Jetzt war er baff. „In meine Wohnung?“
Sie nickte ernsthaft und wirkte dadurch nur umso zerbrechlicher. „Ich will noch eine halbe Stunde mit dir allein sein.“
Dirks Gedanken legten einen Sprint ein. Eine halbe Stunde, ja, das könnte hinhauen. Weil Gwennie und die Kleine zehn Minuten früher da gewesen waren, lagen sie gut in der
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