Gwen (German Edition)
Mutter wurde das Baby dann endgültig herausgepresst. Reflektorisch hielt Gwen die Hand auf, und das Neugeborene glitt hinein, feucht, warm und winzig. Ein Mädchen. Die Nachgeburt rutschte gleich mit heraus. Was bei Schafen, wie Gwen sich erinnerte, ein schlechtes Zeichen war.
Alex rief mit ihrem Handy den Krankenwagen.
Schlaff hing das Baby in Gwens Händen. Schwarz und winzig. Reglos.
Schon oft hatte Gwen tot geborene Lämmer gesehen und wusste sofort, dass dieses menschl iche Baby nur ein lebloser Körper war. Und trotzdem wollte sie es nicht einfach so hinnehmen, wollte etwas tun. Irgendetwas.
„Handtuch!“, forderte sie.
Wie sie es in Arztfilmen im Fernsehen gesehen hatte, hob sie das Baby an den Beinen hoch und gab ihm einen Klaps auf den Hintern. Und noch einen. Da das nichts bewirkte, besann sie sich auf das, was sie bei ihrem Vater bei frühgeborenen Lämmern gelernt hatte, und drückte mit kleinen Ruckbewegungen auf den Brustkorb des Babys, um Herz und Atmung anzuregen. „Wo bleibt das verdammte Handtuch?“
Als das endlich kam, rubbelte Gwen es über das Gesicht, um die Nasenlöcher von Fruchtwasser zu befreien, und über den Rücken. Recht unsanft, weil das Baby noch immer nicht atmete.
„Es ist zwecklos.“ Loretta packte Gwens Arm. „Das Kind ist tot.“
Jetzt musste Gwen es auch akzeptieren. Schließlich kannte sie diesen Geruch. Er war bei Schafen auch nicht viel anders und zeigte an, dass der Fetus schon ein paar Tage lang tot war. In diesen Fällen musste man Antibiotikastäbe in die Gebärmutter einlegen. Erfahrene Schäfer konnten das selbst. Doch Ian mit seinen viel zu großen Händen hatte es immer Gwen oder Maureen machen lassen. Nur wenn keine von ihnen zur Verfügung stand, rief er immer den Tierarzt. „Kommt ein Krankenwagen, Alex?“
Die Domina zuckte mit den Schultern. „Das hat die Notau fnahme zumindest behauptet.“
Gwen wickelte das tote Baby in das Handtuch und trat zu se iner Mutter. „Es tut mir Leid.“ Zu Gwens Bestürzung mischte sich ein Schluchzer unter ihre gramvollen Worte. Sie atmete zittrig durch, kämpfte um Beherrschung und versuchte noch einmal, der jungen Mutter das Unfassbare fassbar zu machen: „Es tut mir Leid, aber Ihr Baby ist tot.“
Doch die Frau r ührte sich nicht. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, und ihre Augen starrten ins Leere. Auch als Gwen sie anstieß und die schreckliche Botschaft wiederholte, kam keine Reaktion. Ratlos schwenkte Gwens Blick auf die Umstehenden. „Was ist nur los mit ihr?“
„Götterdämmerung“, erklärte Kiss.
„Götterdämmerung?“ Das hatte Gwen schon einmal gehört.
„Der Stoff aus Europa.“ Cory strich sich über die schweißnasse Stirn. „Seitdem das Zeug wieder auf dem Markt ist, ist Grace auf dem Dauertrip. Ich glaube, sie hat noch nicht mal mitgekriegt, dass sie schwanger ist. Oder es war ihr scheißegal.“
Götterdämmerung.
„Wie abgemagert sie ist!“, hauchte Michelle, wobei unklar blieb, ob sie damit das tote Baby oder die Frau meinte, deren dünne Beine wie vertrocknete Äste aus ihrem überlangen T-Shirt staken.
Der Stoff aus Euro pa.
Nun fing die schwarze Frau an, unverständliche Si lben zu lallen, die sich auf eine bizarre Art heiter anhörten.
„So, jetzt reicht es !“, flüsterte Gwen mehr zu sich selbst als zu irgendjemand anderem. Sie drückte Sheila das tote Baby in die Hand, wischte sich die Hände an dem schmuddeligen Bettlaken ab, riss sich die Perücke vom Kopf und warf sie Cory zu.
„Was soll das jetzt?“, rief Cory aus.
Gwen schüttelte sich die Haare. „Es wird Zeit, ein paar Dinge klarzustellen. Hat jemand zehn Dollar für ein Taxi?“
Ohne Umschweife zog Kiss einen Geldschein aus ihrem Dekolleté und reichte ihn Gwen.
„Danke!“ Plötzlich hatte Gwen das Gefühl, in dem überfüllten Raum zu ersticken. Sie drängte sich zur Tür und eilte die Treppe hinunter. Vage zog der Gedanke an ihr vorbei, sie könnte einen großen Fehler machen, aber ihre Füße liefen ungebremst in Eigenregie weiter. Sie rannte bis zum Taxistand und riss die Beifahrertür des ersten Wagens auf.
„Wo soll’s denn hingehen?“, fragte freundlich der Taxifahrer.
Wann immer er konnte, war er hier unten. Und das war selten. Aber jetzt, da das Fernsehteam endlich abgedampft war und die Nachtschicht anfing, hatte Dirk Zeit.
Eigentlich war es Krämers Job, sich um Statler-Tec zu kümmern. Und Dirk als B war mehr für die Health Company verantwortlich. Trotzdem hatte er sein
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