Gwydion 02 - Die Macht des Grals
jemals davon gehört, dass in unseren Breiten ein Mensch durch Wassermangel zu Tode gekommen ist? Hier muss irgendwo ein Fluss oder eine Quelle sein!“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Gwyn nachdenklich. „Wenn hier irgendwo Wasser ist, hat es sich sehr gut versteckt.“
Doch Rowan hörte nicht auf ihn, sondern marschierte einfach los. Nun, was sollten sie auch sonst tun, sagte sich Gwyn und folgte ihm.
Es war gegen Mittag, als sie die Sohle des Tals erreichten. Hier wuchs schon lange nichts mehr. Die Menschen, die hier lebten – oder gelebt hatten –, mussten die Wälder gerodet haben. Hin und wieder fiel sein Blick auf den Rest eines vor sich hin faulenden Baumstumpfes. Das Gras, das von einem ungesunden Gelb war, war so zäh und holzig, dass es bei jedem Schritt spröde raschelte.
„Das da vorne muss einmal ein Flussbett gewesen sein“, sagte Rowan und zeigte auf einen Streifen Kies. „Vielleicht finden wir ja dort etwas Wasser.“
Mit bloßen Händen machten sie sich daran, die Steine beiseite zu schieben, bis sie auf den sandigen Grund stießen. Sie mussten vier Fuß tief graben, bevor der Boden überhaupt feucht wurde.
„Das kann nicht sein“, stöhnte Rowan, als er immer weiter grub. „Das Loch müsste sich schon längst mit Wasser füllen.“
Erst nachdem sie weitere zwei Fuß gegraben hatten, bildete sich eine kleine Pfütze. Gierig trank Rowan einige Schlucke der trüben Brühe, nur um sie sogleich wieder auszuspucken. „Das Wasser ist brackig, vollkommen ungenießbar“, rief er angewidert.
Gwyn probierte ebenfalls einen Schluck, spuckte ihn aber auch sofort wieder aus. „Du hast Recht, es ist salzig“, sagte er niedergeschlagen.
„Verdammt, die ganze Schinderei war umsonst“, schrie Rowan und hieb mit der Faust auf den Boden.
„Es hat keinen Zweck, wir müssen weiterziehen.“ Gwyn reichte seinem Freund die Hand und half ihm auf.
„Ich frage mich, wie so weit im Landesinneren Brackwasser im Grund sein kann“, sagte Rowan und warf einen wütenden Blick auf das Loch. „Urfin hat uns einmal von einem Krieg zwischen Rom und Karthago erzählt, an dessen Ende das nordafrikanische Reich vollkommen zerstört wurde. Die Römer hatten jedes Haus niedergebrannt und auf die Felder Salz ausgebracht, damit dort für Generationen nichts mehr wuchs.“
„Du glaubst, jemand hat dieses Land verwüstet?“ Rowan nickte. „Oder es mit einem Fluch belegt. Egal, was du dir aussuchst, beruhigend ist keines von beiden.“ Er kickte einen Stein weg und ging mit gesenktem Haupt weiter.
Gwyn blieb noch einen Moment stehen. Eine Erinnerung klopfte an sein Bewusstsein an, doch fand sie keinen Einlass. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, dass er das hier alles kannte, aber woher? Er kam nicht darauf. Schließlich schüttelte er den Kopf und folgte Rowan.
Als die Nacht hereinbrach, sanken die Temperaturen, die im eisigen Wind sowieso schon unerträglich niedrig waren, noch einmal so tief, dass sich Gwyn und Rowan schlotternd aneinander wärmen mussten. Ein fahles Wetterleuchten zuckte über den finsteren Himmel und ließ für einen kurzen Moment die Wolkenmassen erkennen, die das Land zu ersticken drohten. Doch auf die Blitze folgte kein Donner, nur der Wind pfiff schneidend um die Felsen. Der Durst war mittlerweile so quälend, dass Gwyn an nichts anderes mehr denken konnte. Etwas lag in der Luft, was die Austrocknung auf eine unheimliche Art beschleunigte.
Rowan erging es nicht anders. Immer wieder nickte er ein und sein Kinn fiel auf die Brust. Doch kaum war er eingeschlafen, schreckte er frierend hoch.
Als am folgenden Morgen zaghaft das Zwielicht die Dunkelheit vertrieb, wunderte Gwyn sich nur, dass er diese Nacht auf freiem Feld überlebt hatte. Ein zweites Mal, das wusste er, würde ihm das nicht mehr gelingen.
Gemeinsam schleppten sich Gwyn und Roman weiter. Ohne auf den Weg zu achten stolperten sie über Steine und Felsen, fielen benommen in nadelspitze Dornenbüsche oder stürzten Böschungen hinab. Das einzige Zeichen, das ihnen den Weg wies, war die Rauchsäule, der sie sich quälend langsam näherten.
Nachdem sie die letzte Anhöhe genommen hatten, blickten sie auf ein ärmliches Dorf hinunter, das wie ausgestorben vor ihnen lag.
„Scheint niemand da zu sein“, murmelte Rowan.
„Red keinen Unsinn“, antwortete Gwyn erschöpft. „Die hocken alle in ihren Katen und wärmen sich an ihren Feuerstellen auf. Woher soll auch sonst der Rauch kommen.“
Gwyn
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