Gwydion 02 - Die Macht des Grals
lange musste ich auf diesen Moment warten?“ Ein Zittern erfasste den massigen Körper und als würde eine Lebenskerze rückwärts brennen, verwandelte sich der greise Riese in eine machtvolle Gestalt, die sich jetzt in all ihrer Pracht von der Tafel erhob. „Habt Dank, König Gwydion. Endlich bin ich frei! Frei!“ Die letzten Worte rief er so laut, dass Gwyn sich die Ohren zuhalten musste.
Er wollte aufstehen, doch plötzlich traf ihn etwas hart und er sank zu Boden.
Ein höllischer Schmerz wütete in seinem Kopf. Gwyn musste husten und würgen, bis ihn heftige Krämpfe schüttelten. Sein Mund war voller Staub, so als ob er in einem Anfall von Wahnsinn den Dreck vom Boden gefressen hätte.
Aber auch Rowan schien nicht mehr Herr seines Verstandes zu sein, denn er hatte sich Lancelots Schwert genommen und bearbeitete mit ihm den Kamin. Dann packte er plötzlich in wilder Raserei Gwyn am Kragen und zerrte ihn polternd die Treppe hinunter. Erst als sie den Burghof erreichten, brachen beide bewusstlos zusammen.
„Um Himmels willen“, stöhnte Gwyn, als er wieder zu sich kam und sich den schmerzenden Kopf hielt. „Was ist geschehen?“ Noch immer war sein Mund voller Sand.
Auch Rowan war jetzt erwacht und blinzelte in die aufgehende Sonne, die von einem tiefblauen Himmel strahlte. „Ich glaube, wir haben die Geister von Dinas Emrys aufgescheucht und vertrieben.“
„Wovon redest du da?“, fragte Gwyn und setzte sich auf.
Rowan stand auf und half Gwyn auf die Beine. „Ich werde es dir zeigen.“
Als sie die große Halle betraten, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Rowan hatte ganze Arbeit geleistet und den Kamin so weit zerstört, dass ihr Blick auf eine Nische im Rauchfang fiel, in der eine Schale stand, angefüllt mit einer pechartigen Substanz.
„Ich bin wach geworden, als du wie im Fieber über mich gestolpert bist, und das war ein Glück, denn sonst hätten wir diese Nacht nicht überlebt. Ein Geruch hing in der Luft, der mir bekannt vorkam. Ich hatte ihn schon einmal bei Merlin bemerkt. Wenn er die Wunden der verletzten Kämpfer behandelt, betäubt er sie vorher, indem er sie an einer Substanz riechen lässt, die dieser sehr ähnlich ist.“
Gwyn konnte noch immer nicht gerade stehen und musste sich auf seinen Freund stützen, als er die tückische Vorrichtung genauer betrachtete.
„Du meinst, dass dieses Teufelszeug Lancelot vergiftet hat?“, fragte er.
Rowan schüttelte den Kopf.
„Nein, aber es muss dazu geführt haben, dass er in seiner Umnachtung aus dem vergifteten Brunnen getrunken hat, so wie du den Dreck vom Boden gegessen hast. Ich glaube, als er nach Dinas Emrys kam, befand er sich in derselben Verfassung wie wir, ausgehungert und von einem quälenden Durst geplagt.“
Gwyn verstand nicht. „Aber wozu sollte das gut sein? Warum hatte Goon diese Falle gestellt?“
„Wahrscheinlich, weil er etwas schützen wollte.“ Rowan kniete nieder und schob die halb verkohlten Holzscheite beiseite. Ein eiserner Ring kam zum Vorschein, an dem Gwyn jetzt zog.
„Hilf mir“, ächzte er. „Alleine schaffe ich das nicht.“
Mit vereinten Kräften zerrten sie an dem Griff und mit einem Scharren öffnete sich ein steinerner Deckel. Vor ihnen lag in einer in den Stein gehauenen Nische eine reich verzierte Kiste, die die Öffnung jedoch nicht ganz ausfüllte, so als habe sich noch etwas anderes darin befunden.
„Der Gral!“, hauchte Gwyn fassungslos.
Sie packten die Kiste bei den Griffen und zogen sie heraus. Gwyn untersuchte sie genauer, musste aber feststellen, dass sie durch ein schweres Schloss gesichert war.
„Tritt beiseite“, sagte Rowan und schwang Lancelots Schwert. Mit aller Kraft ließ er es niedersausen, doch das Schloss hielt dem Schlag stand. Immer und immer wieder versuchte er es, bis Rowan schließlich aufgab. „Es hat keinen Zweck“, keuchte er. „Ohne Schlüssel werden wir die Kiste nicht aufbekommen.“
„Wenn darin wirklich der Gral eingeschlossen ist, müssen wir alles daran setzen, wieder nach Camelot zurückzukehren. Selbst wenn es unser Leben kosten sollte“, entgegnete Gwyn.
„Du hast Recht“, sagte Rowan entschlossen. „Wenigstens scheint sie nicht besonders schwer zu sein. Gemeinsam werden wir die Bürde leicht tragen können.“
Er band sich Lancelots Schwert um und schulterte den Schild mit dem Löwenwappen. „Dann lass uns keine Zeit verlieren.“
Vorsichtig hoben sie den Schatz hoch.
„Dennoch bleibt ein Problem ungelöst“, sagte
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