Gwydion 02 - Die Macht des Grals
hast mich wirklich überrascht“, sagte er, und es klang so, als mischte sich unter sein Erstaunen echte Fassungslosigkeit. „Was ist nur in dich gefahren, auf dieses seltsame Angebot einzugehen?“
Gwyn, der selbst nicht wusste, warum er das getan hatte, wich dem bohrenden Blick aus. „Vielleicht habe ich den Menschen in Dinas Emrys einfach nur etwas Hoffnung gegeben. Jedenfalls glaube ich nicht, dass meine Entscheidung irgendjemandem schadet.“
Rowan lachte trocken. „Du bist noch fast ein Kind! Trifft es dich so sehr, dass du der einzige Schweinehirte unter all den verzogenen Königssöhnen bist?“
„Nein, das ist es nicht…“, versuchte Gwyn zu erklären.
„Was dann? Klär mich auf! Du hast dir eine Verantwortung aufgebürdet, der du nicht gewachsen bist! Ehrgeiz ist eine Sache, doch Größenwahn eine vollkommen andere.“
Gwyn ließ entrüstet seinen Griff der Kiste los, so dass diese auf dem Boden aufschlug.
Nun ließ auch Rowan die Kiste fallen.
„Nach allem, was in den letzten Wochen geschehen ist, ist mir das Lachen ziemlich vergangen.“ Hilflos warf Gwyn die Arme in die Luft. „Nun gut, vielleicht ist es wirklich ein Fehler gewesen, aber ich werde mich doch deswegen nicht bei dir entschuldigen.“
„Oh natürlich nicht, Euer Hoheit“, rief Rowan. „Es wäre wahrscheinlich auch unter Eurer Würde.“ Er winkte ab, als hätte es keinen Zweck mehr, mit Gwyn darüber zu sprechen und setzte sich auf einen Stein. Gwyn tat es ihm gleich, nahm aber auf einem umgestürzten Baum auf der anderen Seite des Weges Platz.
So saßen sie eine ganze Weile schweigend, als plötzlich ein Rabe angeflogen kam und sich auf der Kiste niederließ. Der Vogel pickte ein-, zweimal auf dem Deckel herum und schien auf etwas zu warten.
Gwyn und Rowan blickten überrascht auf, als sich sechs weitere Vögel dicht vor ihnen auf einem toten Ast niederließen. Der Rabe, der es sich auf der Truhe gemütlich gemacht hatte, krächzte laut.
„Das sind die Raben, die über der Festung geflogen sind!“, stellte Rowan überrascht fest.
Gwyn stand auf und nahm den schwarz gefiederten Gesellen genauer in Augenschein. Als er die Hand ausstreckte, machte der Rabe einen Satz und kletterte seinen Arm hinauf zur Schulter, wo er sich – als sei es das Natürlichste der Welt – einfach niederließ.
Rowan schaute Gwyn an, und in seinen Augen spiegelte sich jetzt nicht mehr Wut, sondern vielmehr ängstliche Verwunderung.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er leise.
Als hätte der Rabe auf dieses Stichwort gewartet, flatterte er auf und setzte sich zu seinen Brüdern. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, flüsterte Rowan. „Lass uns weitergehen. Mir ist das nicht geheuer.“
Gemeinsam hoben sie die Kiste auf und wollten ihren Weg wieder fortsetzen, als auch die Raben aufflogen, nur um sich wenige Meter von ihnen entfernt wieder zu versammeln.
„Lass uns in eine andere Richtung gehen“, sagte Rowan, der die unheimlichen Vögel nicht aus den Augen ließ. Doch kaum hatte er sich umgedreht, als der Anführer der Raben aufflog und sich auf Rowans Schulter niederließ, um mit seinem Schnabel auf dessen Kopf herumzupicken.
In Panik versuchte Rowan den Raben zu verscheuchen, doch der Vogel erwies sich als außerordentlich hartnäckig.
„Verdammt noch mal, Gwyn. Tu doch was!“
Gwyn zögerte kurz. Dann pflückte er den Raben einfach von Rowans Kopf, um ihn sich wieder auf die eigene Schulter zu setzen.
„Ich glaube, sie wollen, dass wir ihnen folgen“, sagte er und strich dem Raben über den Bauch, was diesem offensichtlich ziemlich behagte, denn er schmiegte seinen Kopf an Gwyns Wange.
Rowan betastete seinen Kopf, konnte aber an seinen Fingerspitzen kein Blut entdecken. „Also gut. Tun wir, was sie von uns verlangen, sonst picken sie uns womöglich noch zu Tode.“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als der Rabe erneut aufflog und sich zu seinen sechs Gefährten gesellte. Und in der Tat: Sobald Rowan und Gwyn die Kiste wieder hochgehoben und den alten Weg eingeschlagen hatten, flatterten die Raben auf und flogen ein Stück voran. Einmal versuchten die beiden Jungen noch, einen anderen Weg einzuschlagen, aber ihre Führer waren unerbittlich. Jeder Schritt, der sie vom rechten Pfad führte, wurde mit mehr oder weniger schmerzhaften Schnabelattacken bestraft.
„Hat dir Merlin vielleicht etwas mitgegeben, das auf diese geflügelten Bestien irgendeinen Reiz ausüben könnte?“, fragte Rowan wütend, als sie
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