Gwydion 02 - Die Macht des Grals
Gwyn rieb sich hastig die Augen und kroch hinaus.
Beim Anblick seines Vaters erschrak er. Die vergangenen Wochen hatten den Mann, der noch nie besonders kräftig gewesen war, in eine ausgemergelte Gestalt verwandelt. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und sahen finster drein. Doch als er Gwyn erblickte, begannen sie zu leuchten.
„Mein Junge“, sagte er mit leiser Stimme und ein Lächeln stahl sich in das harte Gesicht.
Gwyn wäre seinem Vater am liebsten in die Arme gefallen, doch etwas hielt ihn davon ab. Scheu lächelte er zurück.
„Ich freue mich auch, dich wieder zu sehen“, sagte er stattdessen.
Do Griflet musterte Gwyn ein wenig überrascht. „Du bist erwachsener geworden“, stellte er fest.
Jetzt tauchte Edwin auf, der die neu erworbene Kuh hinter dem Haus angebunden hatte. Auch in seinem Gesicht hatte die schwere Zeit ihre Spuren hinterlassen. Aber während Do Griflet nur erschöpft wirkte, waren Edwins Züge von Verbitterung gezeichnet. Als er Gwyn sah, verzog er angewidert das Gesicht.
„Edwin“, grüßte Gwyn knapp.
„Was suchst du hier? Ist dein kleines Ritterabenteuer gescheitert? Hoffst du, nun wieder zu Hause unterkriechen zu können, nachdem du einfach abgehauen bist und Vater und ich alles wieder alleine aufbauen mussten?“
„Ach, ja?“, kam es plötzlich von der Tür. „Du vergisst wohl deine kleine Schwester Muriel, Edwin. Immerhin haben wir es meiner Sparsamkeit zu verdanken, dass wir nach dem Überfall nicht ganz mit leeren Händen dastanden.“ Muriel funkelte ihren Bruder wütend an.
„Wir haben alle unseren Teil dazu beigetragen, die ganze Familie“, sagte nun Do Griflet leise, aber mit fester Stimme. „Und wenn wir nicht weiter wie eine Familie handeln, werden wir nicht überleben. Deswegen werdet ihr beide endlich eure Streitereien beilegen. Und Gwyn ist natürlich willkommen.“
Edwin zog die Nase hoch und spie auf den Boden. „Verfluchter Bastard!“
Do Griflet war kein Anzeichen von Zorn anzumerken, als er sich langsam umdrehte und Edwin mit der flachen Hand einen derartigen Schlag ins Gesicht versetzte, dass der schlaksige Bursche zurücktaumelte. Mit weit aufgerissenen Augen hielt sich Edwin die glühende Wange. Früher wäre er nach einer derartigen Ohrfeige heulend davongelaufen, doch jetzt blieb er stehen. Er sagte kein Wort, sondern starrte Gwyn mit unverhohlenem Hass an.
Gwyn, der sein Leben lang Angst vor Edwins Boshaftigkeiten gehabt hatte, war von diesem Gehabe überhaupt nicht beeindruckt und beachtete ihn nicht weiter. „Ich brauche deine Hilfe“, sagte er stattdessen zu seinem Vater. Er dachte einen Moment nach, wie er ihm am besten beibringen konnte, was geschehen war. „In der Scheune liegt ein Mann.
Ich fürchte, dass er bald sterben wird, wenn wir nicht ein Mittel gegen seine Krankheit finden.“
„Was für ein Mann?“, fragte Do Griflet scharf. „Und was für eine Krankheit?“
„Ich glaube nicht, dass es etwas Ansteckendes ist“, versuchte Muriel den Vater zu beschwichtigen und legte eine Hand auf seine Schulter. „Wahrscheinlich wurde er vergiftet.“
„Wo liegt er?“, fragte Do Griflet knapp.
„Im Stall“, antwortete Gwyn unbehaglich.
„Wenigstens wart ihr so klug und habt ihn nicht ins Haus gebracht“, murmelte Do. Er schob Gwyn beiseite und trat durch die niedrige Öffnung.
Do Griflet verzog unmerklich das Gesicht, als ihm der Gestank entgegenschlug. Er ging in die Hocke und legte seine Hand auf die Stirn des Mannes. Dann drückte er seinen Finger in dessen Halsbeuge und befühlte den Kopf knapp hinter den Ohren. Schließlich unterzog er den restlichen Körper einer genauen Untersuchung.
„Es scheint wirklich nichts Ansteckendes zu sein“, sagte er schließlich, nachdem er die Achselhöhlen und die Leistengegenden betastet hatte. Dann öffnete er vorsichtig den Mund des Mannes. „Und wenn es ein Gift ist, dann eines, das ich nicht kenne“, sagte Do Griflet ratlos. Er stand ächzend auf. „Ich kann sein Fieber senken und ihm auch etwas gegen die Krämpfe geben. Doch mehr steht nicht in meiner Macht.“
„Dann wird er sterben“, stellte Gwyn fest.
Sein Vater sah ihn an.
„Über kurz oder lang wird sein Körper dem Verfall nichts mehr entgegenzusetzen haben.“
„Gibt es denn nichts, was wir für ihn tun können?“, fragte Muriel.
„Gwyn soll ihn waschen. Damit würde er nicht nur dem Kranken einen Dienst erweisen.“
Muriel nickte.
„Und ich werde seine Sachen säubern und ausbessern. Soweit
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