Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
„Ich meine… was waren es für Menschen?“
Daffydds Augen begannen zu leuchten. „Es war eine Ehre und eine Freude, ihnen zu dienen. Sie waren gerechte Herrscher, und obwohl sie von außerordentlichem Adel waren, behandelten sie uns alle mit Respekt und Hochachtung. Wir waren eine Familie, die eine große Aufgabe einte.“ Daffydd schaute jetzt auf und musterte Gwyns Antlitz genauer. „Ihr seid ihr Sohn, nicht wahr?“, sagte er, ohne sonderlich überrascht zu wirken.
„Ja“, antwortete Gwyn leise.
„Ihr seid ihnen sehr ähnlich, wisst Ihr?“
Gwyn antwortete nicht.
„Ich weiß, dass eine große Aufgabe auf Euch wartet“, fuhr Daffydd fort. „Ihr müsst den Gral wiederfinden und zurück nach Dinas Emrys bringen. Aber ich bin mir sicher, dass Ihr Erfolg haben werdet.“
„Und was lässt Euch so zuversichtlich sein?“, fragte Gwyn.
Jetzt musste Daffydd lachen, laut und aus vollem Herzen. „Herr, Ihr seid Gwydion Desert, der rechtmäßige Erbe von Dinas Emrys! Ihr seid der Fischerkönig! Und es wird langsam Zeit, dass Ihr wieder in Besitz nehmt, was Eurer Familie schon immer gehört hat!“
Es war eine würdevolle, von Fackeln beleuchtete Prozession, die von Daffydd den schmalen Bergpfad hinauf zur Gralsburg geführt wurde. Gwyn, der wie seine Gefährten hoch zu Ross saß, hatte sich gefragt, wo sie alle in dieser Ruine Platz finden sollten. Seinen letzten und bisher einzigen Besuch hatte er noch lebhaft in Erinnerung. Damals war die Burg ein einziges Trümmerfeld gewesen.
Sie hatten das Tor der Festung erreicht, als Daffydd auf einmal stehen blieb und sich einen Bogen geben ließ. An der Fackel entzündete er einen Pfeil und legte ihn auf die Sehne. Mit einem lauten Zischen stieg er hinauf in den sternenlosen Nachthimmel, um dann wie eine Sternschnuppe zu verglühen. Augenblicklich wurden in der Burg Dutzende von Fackeln und Feuerschalen entzündet, die die Festung in ein feierliches Licht tauchten. Es war ein atemberaubender Anblick! Gwyn konnte im Schein des Feuers erkennen, dass sowohl der Palas als auch der Wehrturm eingerüstet worden waren. Auch hatte man die meisten der Wirtschaftsgebäude wieder instand gesetzt. Zwar sah noch alles wie eine riesige Baustelle aus, doch waren die Fortschritte, die die Arbeiten gemacht hatten, nicht zu übersehen.
„Leider ist der Wiederaufbau noch nicht abgeschlossen, aber der Palas wie auch die Unterkünfte für das Gesinde sind bezugsfertig“, sagte Daffydd und verneigte sich. „Willkommen daheim.“
Gwyn spürte den Kloß in seinem Hals. Er, der König, kehrte heim!
Gwyn schaute hinauf zum Torbogen, an dem zwei Wappen prangten. Eines zeigte den Raben Bran Fendigaids, das andere zierte ein springendes Einhorn, das Zeichen, das seine Mutter Valeria geführt hatte.
Gwyn verneigte sich tief vor Daffydd. „Danke“, sagte er. „Für alles.“
Daffydd ging vor Gwyn auf die Knie und leistete laut und vernehmlich den königlichen Treueid. Dann richtete er sich auf. „Auf dass in Dinas Emrys die alten Zeiten wieder Einzug halten mögen!“
Dann brach ein ohrenbetäubender Jubel los. Gwyn nahm sein Pferd beim Zügel und durchschritt das Tor. Zu Hause, endlich zu Hause! Er blieb stehen und drehte sich zu seinen Gefährten um. Lancelot gab Katlyn ein Zeichen, dass sie vorangehen möge. Als sie zögerte, versetzte er ihr einen leichten Stoß und bedeutete Rowan, Orlando und Cecil, dass sie dem Mädchen folgen sollten. Erst als Katlyn und die Knappen neben Gwyn im Burghof standen, folgten ihnen die Ritter und stellten sich hinter den neuen König von Dinas Emrys.
Rowan beugte sich zu Gwyn hinüber. „Was hat das denn zu bedeuten?“, fragte er flüsternd, wobei er Lancelot aus den Augenwinkeln beobachtete. „Seit wann gehen die Knappen den Rittern voraus?“
Aber Gwyn legte nur den Zeigefinger auf die Lippen und starrte geradeaus. Eine Frau trat in den Lichtschein der Fackeln, gekleidet in ein wunderschönes Gewand. Um ihre Schultern hatte sie einen tiefblauen Mantel gelegt, der am Hals mit einer goldenen Fibel verschlossen war. In ihre Zöpfe waren weiße und hellblaue Blumen gewunden. Augenblicklich trat Stille ein. Dann begann die Frau zu singen. Es war ein Lied aus uralten Tagen, das Gwyn tief in seinem Inneren berührte. Es erinnerte ihn an den Duft von Sommerwiesen und den Wind in den Weiden, der wie ein rastloser Wanderer über die sanften Hügel strich und dabei Geschichten erzählte, die man nur verstand, wenn man die Gabe hatte, mit den
Weitere Kostenlose Bücher