Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
H2O

H2O

Titel: H2O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patric Nottret
Vom Netzwerk:
Zeitungsartikel gewidmet wegen eines ... eines merkwürdigen Fisches, der in seinem Fanggrund aufgetaucht war. Offensichtlich hat er bei seinem wilden Lauf alle Papiere verloren, und er kann weder sprechen noch schreiben ... Er hat nur noch einen Rest Haut auf den Lippen. Alles voller Blasen. Doch immerhin ist es uns schließlich gelungen, seine Hände auseinanderzubekommen. Die Handflächen, Sie können sich sicher vorstellen, wie die Epidermis ...«
    Der Arzt machte eine vage Handbewegung.
    »Niemand hat im Krankenhaus angerufen, um sich nach seinem Verbleib zu erkundigen ... nur die Frau, die ihn gefunden hat, eine gewisse Madame Hoareau. Sie wollte wissen, was es Neues gibt.«
    »Ist sie eine Verwandte?«
    »Nein. Dieser Name ist hier auf der Insel sehr verbreitet ... Er schläft jetzt, doch fast sein ganzer Körper ist bandagiert. Ich habe ihm eine Beruhigungsspritze gegeben. Er war völlig in Panik.«
    Sénéchal sah den Mediziner unverwandt an.
    »Um was für einen Kleber handelte es sich?«
    »Um Cyanacrylat, besser bekannt als Sekundenkleber. Er wurde äußerst gründlich auf Lippen und Handflächen aufgetragen. Offenbar wollte man sichergehen, dass die zusammengeklebte Haut nicht mehr voneinander zu trennen sein würde.«
    »Hm, wenn man ihm auch die Nasenlöcher damit zugeschmiert hätte ...«
    »Nun, dann wäre es Mord gewesen.«
    »Und womit haben wir es Ihrer Ansicht nach hier zu tun?«
    Der Hindu breitete seine zartgliedrigen Hände aus.
    »Nun, mein Freund, das kann alles Mögliche gewesen sein: ein Racheakt, ein dummer Scherz unter Saufkumpanen, ein Nachbarschaftsstreit ... Heutzutage ist doch alles denkbar!«
    »Der Patient ist nicht vergiftet worden? Hat er das Zeug vielleicht geschluckt?«
    »Ich vermute, man hat es ihm verabreicht, während er bewusstlos war und sich nicht rührte. Wenn er es geschluckt hätte, wäre er längst tot.«
    »Erinnert er sich an irgendetwas?«
    »In seinem Zustand? Ich weiß nicht ...«

14
 
 
 
    Pierre Sénéchal stellte den Wagen vor vier Kokospalmen ab, verstaute die Karte von der Insel, die die ganze Fahrt über aufgeschlagen auf dem Beifahrersitz gelegen hatte, im Handschuhfach und spähte durch die schmutzige Windschutzscheibe. Im Schatten der Veranda eines Hauses mit kanariengelben Mauern und pistaziengrünem Blechdach saß eine üppige Frau und fertigte Strohhüte. Würdevoll und ohne Hast umnähte sie eine Krempe. Das Auto beachtete sie mit keinem Blick. Trotz der Hitze trug sie über ihrem bunten, geblümten Kleid eine Wolljacke in kräftigem Orange. Ihre Füße steckten in roten, mit einer blasslila Plastikblüte verzierten Sandalen. Neben ihr trockneten auf einem Rost Lilienstängel in der prallen Sonne.
    Der Umweltinspektor stieg aus dem Geländewagen, vertrat sich kurz die Beine und bewunderte dabei die Landschaft: das Wogen des Zuckerrohrs, das leuchtende Grün der Bananenstauden, die in der feuchtwarmen Hitze gediehen, die dunklen, gezackten Felsen und die schmale, strahlend weiße Linie des Korallenriffs im Meer. In dem wenige Schritte entfernten Zuckerrohrfeld entdeckte er eine Vogelscheuche, die, je nachdem wie der Wind blies, zwischen den hohen Halmen auftauchte und gleich wieder verschwand. Ihn amüsierten ihre gelbe Öljacke und der aus grobem Sackleinen gefertigte Kopf, dem man einen leicht dümmlichen Gesichtsausdruck verpasst hatte. Ihn zierte ein Strohhut, der wie der Hut der Frau auf der Veranda von einem roten Band gehalten wurde. Das i-Tüpfelchen aber waren ein paar Gummihandschuhe, die an den Armen baumelten.
    Sénéchal machte kehrt, ging mit großen Schritten auf das Haus zu und blieb vor der Frau stehen.
    »Madame Hoareau? Victoire Hoareau?«
    Sie musterte ihn mit ihren hellen Augen, die einen verblüffenden Kontrast zu ihrer schwarzen Haut bildeten.
    »Ja, die bin ich, mein Junge. Guter Gott! Wenn jemand groß ist, dann Sie! Frieren Sie denn gar nicht, wenn Ihr Kopf immer oben in den Wolken steckt?«
    »Dort kann man die Dinge von einer höheren Warte aus betrachten. Außerdem sind die Hindernisse in dieser Höhe weniger zahlreich.«
    »Ich vermute, Sie spielen auf materielle Hindernisse an.«
    Sénéchal konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Die anderen präsentieren sich meiner Erfahrung nach auf jeder Höhe.«
    »Brauchten Sie nicht dringend einen breitkrempigen Hut, um Ihren Schädel zu schützen?«
    Sie wies auf den Stapel, der vor ihr lag. Er schüttelte den Kopf und beugte sich hinab, um ihr die Hand zu

Weitere Kostenlose Bücher