H2O
Meinung nach die Art und Weise, wie man den armen Kerl zugerichtet hat? Dass ihm der Mund zu- und die Hände aneinandergeklebt wurden?«
Madame Hoareau wiegte bedächtig den Kopf.
»Ich sehe schon ... Sie sind pfiffiger als die anderen. Oder Sie halten mich für pfiffiger, als die anderen es getan haben. Meinem Gefühl nach bedeutet es so viel wie: Bete zu deinem Gott und schweig still!«
»Welcher Gott ist gemeint?«
»Hm, das ist schon schwieriger. Mir scheint, die Hände zusammenzulegen ist eine eher bei den Hindus als bei den Christen gebräuchliche Geste. Obwohl auf bildlichen Darstellungen der christlichen Heiligen oder der Jungfrau Maria sehr häufig dieses Motiv gewählt wird.«
»Und?«
Sie lächelte.
»Ich weiß nicht ... Sie müssten den Mann fragen, zu welchem Gott er betet - oder auch nicht. Was meinen Sie?«
»Dieser Mann trägt denselben Nachnamen wie Sie.«
»Hoareau? Im Telefonbuch der Insel gibt es fast dreitausend Personen mit diesem Namen. Laut meinen wenigen Informationen lassen sich die Hoareaus bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückverfolgen und stammen aus dem Departement Pas-de-Calais.«
»Warum, glauben Sie, wurde ihm das angetan? Es hätte ihn das Leben kosten können.«
Sie dachte einen Augenblick nach, dann erklärte sie, wobei sie die Tatmotive an ihren Fingern abzählte:
»Man kann einem Mitmenschen so etwas unter Alkoholoder Drogeneinfluss, aus Langeweile oder Habgier antun - ich tippe auf Erpressung -, um ihn sich gefügig zu machen, um ihn einzuschüchtern und daran zu hindern, ein Geheimnis zu verraten.« Sie hielt inne. »Oder um sich zu rächen. Denn Rache verjährt nie, Monsieur.«
Mit schwerfälligem Schritt begleitete sie Sénéchal zu seinem Auto. Aus dem Augenwinkel sah er etwas, das ihm bisher nicht aufgefallen war: In einigem Abstand zum Haus der korpulenten Dame stand ein kleines Gebäude, dessen Mauern in einem unglaublich leuchtenden Kobaltblau gestrichen waren. Trotz der Entfernung erkannte er ein Schild mit der Aufschrift »zu vermieten«.
»Sie vermieten Zimmer, Madame Hoareau?«
»Sie meinen das Häuschen? Während der Saison vermiete ich es ... gelegentlich. Wieso?«
»Würde es Sie stören, für ein paar Tage einen Ermittler als Nachbarn zu haben?«
»Sie haben also keine Bleibe, Inspektor?«
»Ich wohne im Hotel, aber vielleicht muss ich länger auf der Insel bleiben. Da käme mir das sehr zupass.«
»Hm. Hier hätten Sie alles, was Sie brauchen. Der Blick auf die Zuckerrohrplantage ist fantastisch ... Sie werden sagen, Zuckerrohr gibt es hier an jeder Ecke.« Die Frau fuhr sich mit ihrer rosigen Zunge über die fleischigen Lippen. »Mit dem Unterschied, dass das meine Plantage ist. Das Häuschen ist nicht sehr groß, aber ordentlich und sauber ... Es gibt eine Toilette und ein kleines Badezimmer.«
Sie musterte ihn amüsiert aus ihrer Froschperspektive.
»Ich weiß nicht, ob das Bett mit Ihren Maßen vereinbar ist. Wenn Sie mir helfen, könnte man die Matratze auf den Boden legen. Und für Ihre Verpflegung ist auch gesorgt: Weiter unten im Ort gibt es eine Kneipe mit einem Lebensmittelladen. Und ich kann Ihnen immer ein paar Sachen mitbringen, wenn ich meine Besorgungen in der Stadt mache. Wie zum Beispiel etwas coco d'mort oder ein t'i pain la flûte ...«
»Was bitte?«
»Coco d'mort ist Käse, t'i pain la flûte ...«
»Ist Brot.«
»Genau. Besuche von Damen oder Gesindel sind selbstverständlich verboten!«
»Gibt es in dem Häuschen einen Telefonanschluss?«
»Ich sagte doch schon, es gibt alles, was man braucht. Auch Moskitonetze an den Fenstern. Ich zeige es Ihnen gerne, aber ...«
Sie rieb auf beredte Weise Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Auch wenn Sie bei der Polizei sind: Sie müssen bar zahlen und kriegen keine Rechnung, mein Freund.«
15
»Pierre? Hier Lucrèce. Es gibt brandneue Informationen zu dem Sprengsatz, mit dem das Boot in deinem Sektor versenkt wurde. Ich habe den Ruß und die Metallpartikel von der Rüstungsabteilung analysieren lassen.«
»Von den Typen, die für Explosive und Zündstoff zuständig sind?«
»Für Explosivstoffe und Zünder. Ich habe lange mit einem Spezialisten gesprochen, der mir außerdem einen kurzen Bericht geschickt hat. Seiner Meinung nach ist uraltes Material verwendet worden.«
»Was heißt das?«
»Mit diesem Waffentyp wird schon lange keine einzige reguläre Armee mehr ausgestattet ... Er stammt aus den Jahren 1975 bis 1980. Aber Achtung, auf dem grauen Markt
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