H2O
kommen wir zurück zu dem armen Shafik, dessen Tod unsere Organisation zutiefst erschüttert hat. Ich habe Hauptmann Thamnir hergebeten. Gleich wird er da sein.«
Sénéchal bemerkte das Zögern des Chinesen und fragte:
»Ist er Polizist?«
»Nein, er ist Angehöriger der Armee und Mitglied der Nationalen Sicherheitsbehörde. Polizisten werden in diesem Land zu schlecht bezahlt.«
»Aus welchem Grund haben Sie ihn hergebeten?«
»Hushni Thamnir hat sich auch während der Unruhen völlig korrekt verhalten. Das kann man wahrlich nicht vom Rest der Armee behaupten. Ganz im Gegenteil: Einige hohe Offiziere fanden sich, unter anderem nach den Ereignissen in Osttimor, vor dem Internationalen Strafgerichtshof wieder.«
»Sie vertrauen ihm uneingeschränkt?«
»Ich denke, er kann Ihnen behilflich sein.« Xi Ping Zhu breitete die Hände aus. »Sofern er dazu bereit ist, was ich nicht mit Sicherheit weiß. Hushni Thamnir ist eine komplexe Persönlichkeit, deren Beweggründe ich nicht immer verstehe ... Er weiß Bescheid über vieles, was in diesem Land vor sich geht. Dinge, die ich nie erfahren werde, was wohl auch besser ist.«
20
Es klopfte an der Tür zum Büro des Generaldelegierten Xi Ping Zhu. Hauptmann Thamnir blieb einen Moment reglos auf der Schwelle stehen, aufrecht, als hätte er einen Degen verschluckt. Er war jung, schlank und kleinwüchsig, sein dunkles, glänzendes Haar schimmerte bläulich wie das Gefieder eines Raben. Auf seiner Nase saß eine dezente Brille mit Goldrand. Er war barhäuptig und trug ein hellgraues Hemd mit Schulterklappen - die Ärmel sorgfältig aufgekrempelt bis über die Ellbogen - und eine marineblaue Hose mit korrekter Bügelfalte. Auf der Brust prangten einige Orden, seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Die Maschinenpistole in dem schwarzen Halfter, der über der Hüfte an seinem Gürtel hing, wirkte fast wie ein Zierobjekt.
Leise schloss er die Tür hinter sich und bewegte sich mit tänzerischer Anmut auf die beiden Männer zu. Vor Sénéchal verbeugte er sich kurz. Seine Arme waren zierlich und seidig wie die einer Frau. Die rechteckige Uhr aus mattem Stahl glänzte an seinem Handgelenk wie eine Waffe.
Alle nahmen Platz. Der Hauptmann lehnte sich lässig in seinen Sessel und schien abzuwarten. Seine schwarzen Augen ruhten einen Moment lang prüfend auf dem Inspektor, dann nahm sein Gesicht einen undurchdringlichen Ausdruck an. Sénéchal fiel die leicht gekrümmte Nase des Mannes auf, die einen Gegensatz zu seinen zart geschwungenen Lippen bildete.
Der Delegierte faltete die Hände unter dem Kinn, nicht ganz unverkrampft, wie der Inspektor bemerkte.
»Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, Monsieur Sénéchal, hat Hushni Thamnir mir in dieser Angelegenheit sehr geholfen ... Gut. Fassen wir zusammen: Shafik Mahakam war einer unserer brillantesten Beamten. Er war aktiv und kompetent und erhielt stets hervorragende Beurteilungen. Mit seiner Karriere ging es steil bergauf. Es war bereits beschlossene Sache, dass er eines Tages mein Nachfolger werden würde. Eines nicht allzu fernen Tages, denn ich werde mich bald in den Ruhestand verabschieden ... Er war das, was man einen guten Familienvater nennt ... Sein Sohn ist übrigens an der Universität. Von Shafik waren keine Geschichten mit ... mit dem weiblichen Personal hier bekannt. Es gab in seinem Leben keine Geheimnisse, zumindest haben das die Ermittlungen von Hauptmann Thamnir ergeben.«
»In welchem Verhältnis genau stand Monsieur Shafik Mahakam zu Monsieur ...« Sénéchal studierte seine Notizen. »... Rhaddiaunir, dem befreundeten Wissenschaftler?«
Der Delegierte erwiderte:
»Neben ihrer freundschaftlichen Beziehung teilten die beiden Männer eine Leidenschaft für Vulkane ... Laut den Aussagen aller, die sie kannten, verbrachten sie viel Zeit damit, die Vulkane der Inselgruppe zu besuchen und zu fotografieren - oder eher zu filmen, glaube ich ... Ich war sehr erstaunt, als ich dies erfuhr ... Shafik hatte weder seinen Kollegen noch mir je davon erzählt.«
Sénéchal fasste sich ein Herz und fragte:
»Und wie sah es mit seinen religiösen Überzeugungen aus?«
Xi Ping Zhu kniff die Augen leicht zusammen, wodurch seine Narbe noch stärker hervortrat.
»Hm. Eine äußerst kluge Frage seitens eines westlichen Ermittlers ...«
Er machte eine beschwichtigende Geste.
»Verzeihen Sie, Monsieur Sénéchal ... Ich wollte Sie nicht kränken. Sie haben natürlich recht ... Die Religion nimmt hierzulande einen
Weitere Kostenlose Bücher