Hab ich selbst gemacht
Weihnachten zu meiner Oma. Und dort lagen, oben auf den Schränken im Schlafzimmer, weil das der kühlste Raum der Wohnung war, mehrere Riesenstollen. Vielleicht kämen sie mir heute, wo ich selbst größer bin, gar nicht mehr so riesig vor – aber sie müssen schon ziemlich groß gewesen sein, denn auf einen Teller passte immer nur eine halbe Scheibe Stollen. Das ist für mich bis heute die natürliche Zerteilungsart eines Stollens: halbe Scheiben.
Diese Stollen backte meine Oma jedes Jahr Mitte November, beziehungsweise stand sie ein paar Stunden in der Küche, um den schweren Hefeteig zu kneten, ihn in beachtliche Stücke zu zerteilen und zu Stollen zu formen. Dann kamen die rohen Stollen auf ein großes Brett und wurden auf dem Handwagen zum Dorfbäcker gezogen. Von meiner Mutter. Daher kenne ich die Geschichte und sehe es wie in einem kitschigen Heimatfilm vor mir: wie dieses blondzopfige Mädchen, das ich von den Kinderbildern meiner Mutter kenne, mit dem Bollerwagen und ein paar Stollen darauf gen Bäcker zieht. Warum meine Oma die Stollen nicht in ihrem eigenen Ofen gebacken hat, weiß ich nicht. Es hat mich auch nie gewundert, stelle ich jetzt fest. Ich schreibe meiner Mutter eine SMS : »Mama, warum hat Oma ihren Stollen nicht zu Hause gebacken?«
»Ofen nicht heiß genug«, schreibt sie zurück.
Wie heiß muss denn bitte so ein Ofen sein, um einen Stollen zu backen? Das Backbuch sagt 200 Grad. Gut. Ich werde mir also keinen Bollerwagen besorgen und die Hofpfisterei um die Ecke nicht überreden müssen, unseren Stollen zu backen. Der Stollen, der unter dem Rezept im Backbuch abgebildet ist, sieht allerdings sehr unattraktiv aus. Trocken. Zu wenige Rosinen. Und das Zitronat schaut in großen Klumpen aus der Schnittfläche heraus. Zitronat: ein schwieriges Thema. Ich kann’s nicht leiden. Es erinnert mich ans Plätzchenbacken zu Hause.
Jedes Jahr rührte meine Mutter einen großen Topf Plätzchenteig zusammen, dessen Extravaganz darin bestand, besonders viel Zitronat zu enthalten. Beim Ausstechen der Plätzchen waren die Zitronatklumpen immer im Weg, und die Erinnerung an das Gefühl, mit dem Ausstechförmchen durch einen solchen Klumpen durchzustechen, verursacht bei mir noch heute schmale Lippen. Dieser langweilige Teig, seine unvermeidliche Wiederkehr und vor allem auch die Eintönigkeit in unseren Plätzchendosen waren einer Mischung aus DDR – Mangelwirtschaft, dem Zeitmangel meiner Mutter und ihrer Bocklosigkeit in der Küche geschuldet. Bei uns gab es genau zwei Sorten Plätzchen: Solche, deren Zitronatbutterteig mit einer halben abgezogenen Mandel belegt war, und solche, auf denen sich stattdessen eine Rosine aufplusterte. So langweilig wie das Design dieser Plätzchen war auch ihr Geschmack.
Ich beschließe, im Internet nach einem besseren Stollenrezept zu suchen. Wie finde ich ein richtig gutes? Ich google die Begriffe »Stollen«, »Rezept« und »beste«. Ich schäme mich schon beim Eintippen für meine Naivität. Aber gleich der allererste Eintrag liest sich recht vielversprechend. Der Autor berichtet, das Rezept vor dreißig Jahren vom Chef einer kleinen Landbäckerei bekommen zu haben. Kann gelogen sein, weckt aber sofort meine Neugier. Es ist ein Quarkstollen mit vielen Extras darin, die ich mag: Rum, Vanille, Zitrone. Auch das Zitronat steht mit auf der Zutatenliste, aber mit dem Hinweis »klein gehackt«. Also werden wir dieses Rezept ausprobieren.
Als der Mann und ich am Samstagmorgen einkaufen gehen, erzähle ich ihm, dass ich das Rezept ergoogelt habe. Er verzieht den Mund und sagt: »Iiih. Echt jetzt?« Tatsächlich finde ich auch: unsinnlicher geht es kaum. Ich beruhige ihn etwas mit dem Hinweis auf die Landbäckerei-Geschichte und hoffe, dass der Stollen nicht die totale Katastrophe wird.
Das Backen selbst ist nicht kompliziert. Ich weiß auch nicht, was so geheimnisvoll am Stollenbacken sein soll – ich habe es mir eben einfach geheimnisvoll vorgestellt.
Wir sieben jetzt also Mehl, verquirlen Eier, Milch und Vanillepuddingpulver, reiben eine Zitrone ab, hacken Zitronat – und dann kommt das Beste: ein Päckchen Quark und ein ganzes Stück Butter müssen zermatscht werden. Es ist kühl, als meine Finger die Butter umfassen und dabei in den Quark langen. Ich muss meine Hände ganz schön zusammenkrallen, um die Butter zerdrücken zu können. Dazwischen quetscht sich der Quark durch die Fingerritzen. Es macht komische Geräusche – es ist einfach eine großartige
Weitere Kostenlose Bücher