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Hab ich selbst gemacht

Hab ich selbst gemacht

Titel: Hab ich selbst gemacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Klingner
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bisschen zu groß ist. Toni gibt mir eine Größe 40 zum Anprobieren, in Weite H, und sagt dann etwas für mich absolut Überraschendes: »Du hast einen ziemlich schmalen Fuß. Probier doch noch mal eine F40, die ist schmaler.« Bisher dachte ich immer, ich hätte breite Füße. Ich kaufe sowieso mit Vorliebe breite Entenschuhe, die vorne rund und allgemein schön bequem sind. Bei schmalen oder sogar spitzen Schuhen bekommen meine Füße Platzangst. Aber tatsächlich passen mir die F40-Schuhe wie angegossen, und so kann ich mir jetzt also etwas darauf einbilden, schmale Füße zu haben.
    Mit einer Liste unserer Schuhgrößen geht Toni ins Lager, wir hinterher, um Leisten zu holen. Bei manchen klebt er noch ein »Eitzerl« drauf, was sich als Stück festes Leder entpuppt, um dem Leisten mehr Volumen und somit dem späteren Schuh mehr Platz für einen hohen Spann oder breiteBallen zu geben. Viele der Österreicher sagen: »Aha, daher kommt das«, und als ich nachfrage, wovon sie sprechen, erklären sie mir, im Österreichischen sage man »a Eitzerl mehr«, wenn man noch ein kleines bisschen von irgendwas irgendwo dazugebe.
    Neben dem Leisten bekommen wir eine Sohle, die aus drei Schichten besteht – Leder, Kork, Leder – und ergonomisch geformt ist, und wir sehen zum ersten Mal die Oberteile der Schuhe. Die wurden bereits genäht, denn bei den meisten besteht das Oberteil aus mehreren Teilen und hat Ösen und Haken. Mein Oberteil allerdings hätte ich vermutlich an einem weiteren Schuhmacherkurs-Tag auch selbst nähen können: Es handelt sich um zwei durchgehende Lederstücke, eines innen und hellbraun, eines außen und schwarz, beide aufeinander- und an der Ferse zusammengenäht. An unseren Arbeitsplätzen liegen außerdem: eine Kunststoffkappe für die Schuhspitze, ein Paar Gummisohlen, ein schwerer Schuhmacherhammer, eine breite und eine schmale Zwickzange, ein sogenanntes Reibbein – was ein gebogenes Stück Tierknochen ist –, ein Stückchen feines Schleifpapier und eine Handvoll Nägel.
    Probehalber sollen wir erst einmal ein paar Nägel mit den beiden Zangen in den Leisten schlagen. Und zwar so, dass wir sie nicht darin versenken, dass man sie aber auch nicht so leicht wieder herausziehen kann. Ein lautes Geklopfe beginnt. Schuhmacher hämmern mit den Zangen, weil sie dann nicht ständig ihr Werkzeug wechseln müssen. Toni geht herum und schaut sich unsere Arbeiten an. Bei mir zieht er einen Nagel einfach so mit den Fingern wieder heraus. Ich schaue etwas fassungslos auf den Leisten, den er mir zurückgibt. Ich probiere, ob auch die anderen vier so locker sind, und ärgere mich, dass die alle bombenfest sitzen. Er hat genau den einen erwischt, den ich beim Einschlagen nicht fest genug gehauen habe.

    Mit dem Schleifpapier rauen wir die untere Seite der Zwischensohle und das Innenleder auf, damit beide Teile später gut miteinander verklebt werden können. Und dann geht es los. Wobei wir in diesem Moment noch nicht wissen, dass das, was wir gleich machen werden, unsere Beschäftigung für die nächsten elf Arbeitsstunden sein wird. Wir legen unsere Lederteile auf den Leisten und versuchen, es glatt darüberzuziehen und auf dessen Unterseite festzunageln.
    Das Problem daran: So ganz ohne Gewaltanwendung reicht das Leder gerade mal bis zur Kante des Leistens. Wir müssen es also mit der breiten Zange malträtieren, es immer wieder und noch mal ziehen und dehnen, bis es ein bis zwei Zentimeter über den Rand hinausgeht und wir es mit einem Nagel und der breiten Seite der Zange an der Unterseite des Leistens befestigen können. Und das ist auch schon das nächste Problem: Es klingt vielleicht einfach, aber in Wirklichkeit ist es eine ziemliche Frickelarbeit, gleichzeitig ein Werkstück auf den Oberschenkeln zu balancieren, mit einer Hand einen Nagel in ein gerade brachialst gedehntes Leder zu pieken und mit der anderen Hand eine Zange auf eben jenen Nagel zu schlagen. Kurz: Wir hauen uns alle auf die Finger. Am Ende dieses Abends werden die ersten Daumen schon blau angelaufen und verbunden sein. Mein Daumennagel bleibt überraschend rosa, dabei habe auch ich mir einmal mit voller Wucht und ungefähr zwanzig Mal mit halber draufgehämmert.
    Wir klopfen, was das Zeug hält, um die ersten fünf Züge, die Toni uns gezeigt hat, zu üben: 1. Die Spitze des Leders über die Spitze des Leistens ziehen und mit einem Nagel fixieren. 2. Einen Fingerbreit darunter auf der Innenseite das Leder ein Stückchen ziehen und

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