Hab ich selbst gemacht
Laufen nicht doch etwas störend sein könnten. So löst sich jedes Rätsel. Wenn auch diesmal auf so deprimierende Weise, dass all das Geklopfe nurzum Formen des Leders gedacht war und gar nicht für die Konstruktion des Schuhs selbst nötig ist. Meine Fingerkuppen sind inzwischen taub.
Mittlerweile ist eigentlich schon wieder Abendessenszeit, aber wir müssen heute noch die Zwischensohlen der Schuhe einkleben: ein breites Stück festes Leder, das mit Schusterleim eingestrichen wird. Die Ränder des Oberleders biegen wir mit den Fingern nach außen – also ganz und gar in die entgegengesetzte Richtung, in die wir bisher geklopft haben!, denke ich empört – und drücken die Zwischensohle fest an. Zur Sicherheit zwicke ich mit der breiten Zange Oberleder und Zwischensohle noch einmal rundherum fest aufeinander. Dann ist unser Tagewerk getan. Es ist 20 Uhr, wir haben zwölf Stunden gearbeitet, abzüglich einer Brotzeitpause und einer kurzen Führung durch die Waldviertler Schuhwerkstatt, in der uns Werkstatt-Chef Heini eine Maschine zeigte und meinte: »Diese Maschine erledigt die Arbeit eures heutigen Tages in 30 Sekunden.«
Wir setzen uns zum Abendessen zusammen, essen Käsekrainer und Gemüsestrudel. Ich fühle mich tatsächlich endlich wie jemand, der weiß, was er am Tag geschafft hat. Meine Finger tun noch mehr weh als am Morgen, von meinem Rücken ganz zu schweigen. Der hat schon nach zwei Stunden gebeugten Sitzens jegliche Beschwerden an mich eingestellt. Aber trotz aller Anstrengung, die mein bürogestählter Körper nicht gewohnt ist: Ich fühle mich gut. Glücklich. Zufrieden mit mir und meinen Händen und dem, was die alles können.
Nach dem Essen gehen wir noch kurz in die Werkstatt, wo Toni mit einer Maschine die Ränder unserer Schuhe beschneidet. Richtig schick sehen sie jetzt aus, fehlt nur noch die Gummisohle, dann sind es echte Schuhe.
In dieser Nacht schlafe ich ein bisschen besser. Ich habe am Abend noch Rückengymnastik gemacht – was nie ein Schuhmacher erfahren darf, weil er sich sonst über mich kaputtlachen würde. Aber was soll ich tun, ich habe die ganzen 25 Jahre meines Schul-, Studien- und Arbeitslebens immer nur an Tischen gesessen und in Hefte oder Computer geschrieben. Mein Rücken kennt einfach nichts anderes.
Am nächsten Morgen geht es um neun los; Sonntag hin oder her. Heute nähen wir.
Um Schuhe zu nähen, braucht man nicht einfach nur einen kräftigen Faden und eine dicke Nadel. Man benötigt zwei Nadeln, und außerdem eine Ahle, um die Löcher vorzustechen. Die Nadeln sind eigentlich auch gar keine Nadeln, sondern Drahtstücke, die in der Mitte so zusammengelötet wurden, dass eine Öse entsteht und deren Enden so geschliffen sind, dass der Draht nicht aufgeht. »Früher waren diese Nadeln aus Schweineborsten«, sagt Toni.
Und so näht man Schuhe: Toni sticht mit der Ahle ein Loch von oben durch das Oberleder, durch die Zwischensohle hindurch, und beim Zurückziehen der Ahlenspitze schiebt er gleich Nadel Nummer eins hinterher, die an einem Ende des Fadens festgemacht ist.
Er zieht den Faden so weit hindurch, dass jetzt die eine Hälfte seiner Länge oben, die andere unten aus der Sohle herausschaut.
Ab dem zweiten Stich wird dann, wenn die erste Nadel noch im Loch steckt, die zweite Nadel von der anderen Seite hindurchgeschoben und beide Fäden in entgegengesetzte Richtung lang gezogen. So entsteht die Naht gleichzeitig oben und unten.
Zweieinhalb Stunden lang sitze ich da, wieder mit gekrümmtem Rücken, um den schwarzen Faden auf meinem schwarzen Leder einigermaßen gut sehen zu können, bohre Löcher, ziehe Nadeln hindurch, mache Schlaufen und zurre den Faden mit Hand und Ahle fest. Und bin froh, nur eine Schuhgröße 40 und einen schmalen Fuß zu haben, weil ich mir so ein paar Zentimeter Näharbeit spare.
In mir macht sich eine kontemplative Ruhe breit. Endlich habe ich an diesem Wochenende mal das Gefühl, einigermaßen zu wissen, was ich hier tue. Ich bin stolz, dass meine Stiche gleichmäßig sind und so auf der hellen Unterseite der Zwischensohle eine schöne, parallel zum Schuhrand verlaufende Linie entsteht. Ich muss an meine Mutter denken, die mir als Kind immer sagte, wenn ich etwas mit der Hand nähte und die Innenseite der Naht schief und krumm geworden war: »Eine Naht muss immer auf beiden Seiten schön aussehen.« Da ich irgendwann anfing, mit der Nähmaschine zu arbeiten, erledigte sich das Problem von allein. Aber jetzt grinse ich ein bisschen
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