Hab ich selbst gemacht
arbeiten«, sagt sie. »Wenn du willst, kann ich nach der Arbeit bei dir vorbeikommen, dir Händchen halten. Und ich kann dir meine Strickfortschritte zeigen.«
»Heute Abend ist auch der Mann da«, nörgel ich weiter. »Mir ist aber jetzt langweilig!«
»Hör zu, du bist unausstehlich, weil krank. Du schläfst jetzt, wirst gesund, und ich gehe in mein Meeting, das vor genau einer Minute angefangen hat. Ciao, Süße.« Die beste Freundin hat aufgelegt.
Also muss ich mich weiter allein bemitleiden.
Schlafen will ich aber auch nicht. Also schalte ich den Computer an, um nach E-Mails zu sehen.
Frau Liebe hat mir geschrieben. Frau Liebe heißt eigentlich Jessica, und seit gut einem Jahr lese ich ihren Blog frauliebe.typepad.com . Es ist ein Selbermachblog, auf dem Frau Liebe unterhaltsam davon berichtet, was sie gerade genäht oder zusammen mit einer Gruppe Kinder gebastelt hat. Frau Liebe ist nämlich Erzieherin.
Vor ein paar Tagen habe ich jedenfalls beschlossen, dass Frau Liebe mir vom Bloggen übers Selbermachen erzählen soll. Ich schrieb ihr eine Mail mit meinen Fragen – und da ist schon die Antwort:
»Meinen ersten Blog hatte ich 2004. Zu der Zeit gab es kaum deutschsprachige Do-it-yourself – Blogs. Ich kannte aber eine ganze Reihe amerikanischer Blogs, die sich mit Handarbeiten und generell dem Selbermachen auf eine andereArt beschäftigt haben, als wir alle es von Omas Kirchenbasar kennen. Bis ich über diese Blogs und einige thematisch ähnliche Foren gestolpert bin, dachte ich, ich sei mit meiner Leidenschaft fürs Rumtüfteln und Handarbeiten ziemlich alleine. Also habe ich meinen eigenen Blog gestartet, um in Kontakt mit anderen zu kommen, die diese Leidenschaft teilen. Ich wollte Leute finden, die coole Ideen haben und denen es etwas bedeutet, Sachen selber zu machen. Als ich sie fand, hat das meinem eigenen Rumgebastel ziemlichen Auftrieb gegeben, weil ich plötzlich nicht mehr das Gefühl hatte, alleine im stillen Kämmerlein an der Nähmaschine zu sitzen. Obwohl ich das natürlich immer noch tat. Und ich wollte meine Sachen für mich selber archivieren. Wenn ich heute ein paar Jahre in meinem Blog-Archiv zurückgehe, finde ich immer wieder Sachen, an die ich mich sonst wohl kaum noch erinnern würde. Wie ein Tagebuch ist das, nur ohne den ganzen ätzenden Liebeskummer.«
Was Frau Liebe schreibt, stimmt schon: Selbermachen ist oft eine einsame Angelegenheit. Es ist kein Hobby wie Fußball, bei dem zum Beispiel der Mann jede Woche Freunde trifft. Allerdings wäre es auch wenig sinnvoll, würde sich die beste Freundin neben mich an die Nähmaschine stellen und mir den Oberfaden halten. Das funktioniert nicht, man ist sich nur gegenseitig im Weg.
Das Internet füllt da eine große Lücke. Man ist nicht mehr ganz so allein. Man tauscht, diskutiert, inspiriert, gibt an. Und tröstet, wenn mal was nicht klappt.
Ich lese weiter in Frau Liebes Mail. »In den letzten Jahren haben traditionelle Handarbeiten das Miefig-Altbackene verloren, das ihnen anhaftete. Für mich war Selbermachen nie muffig. Klar, manche Sachen sind es, weil sie von Seniorinnen mit Seniorinnengeschmack hergestellt werden. Es hat aber nichts mit der Technik der Handarbeiten zu tun. Ich bin voller Erfurcht, wenn ich sehe, wie jemand die Stricknadeln schwingt,der schon 1950 damit angefangen hat. Ich sehe das, was ich heute mache, in einer Tradition und will auf keinen Fall einen Keil zwischen die gestrickten Bettjäckchen meiner Großmutter und die handgestrickte Totenkopfweste meiner Freundin treiben. Es ist einfach eine Frage des Geschmacks und des Lifestyles. Aber vor allem kannst du heute durch das Internet deine Sachen einem großen Publikum anbieten, zum Beispiel in einem Verkaufsportal oder deinem eigenen Web-Shop. Du musst nicht über trutschige Handarbeitsmärkte tingeln.«
Ich schreibe Frau Liebe zurück und frage, wie das Selbermachen ihr restliches Leben beeinflusst und ob sie jetzt nur noch Freunde aus dem Internet hat, die stricken, nähen oder handwerkern können. Ich klicke auf »Senden«, als der Mann mit meinem Abendbrot nach Hause kommt.
Während ich an einem großen Bissen von meinem neonpinken Abendessen kaue, überlege ich eine Viertelsekunde, mein Projekt neu zu justieren: »Ein Jahr lang Junkfood essen«.
Allerdings stünde dann auch die Currywurst in der Plastikpackung auf meinem Speisezettel. Ich verwerfe den Gedanken schleunigst.
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Tag 79
Stark ätzend!
Der Mann und ich sind aufs Land gefahren
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