Hab ich selbst gemacht
für eine Hose oder eine Jacke gedacht, denn es ist wirklich ein guter Stoff, den ich für ein Drittel seines Originalpreises bei einem Ausverkauf eines alten Stoffladens gekauft habe. 15 Euro pro Meter.
Aber obwohl ich mich den ganzen Tag über das Schnäppchen gefreut hatte, blieb der Stoff dann doch wieder liegen.Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Der Stoff hat schon vier Umzüge mitgemacht.
Ich finde auch gleich einen Schnitt, der mir gefällt: eine gerade geschnittene Hose mit Bügelfalte. Ich schneide ein Teil nach dem anderen aus dem beiliegenden Pergamentbogen aus. Das dauert. Sieben Teile sind es insgesamt: vorderes und hinteres Hosenteil, vorderer und rückwärtiger Bund, Hosentasche, Taschenklappe, Gürtelschlaufe.
Dann breite ich meinen Stoff auf dem Bügelbrett aus und glätte all die über die Jahre hineingepressten Falten. Auf dem Fußboden lege ich die Schnittmusterteile wie vorgeschrieben auf den Stoff, pinne sie mit Nadeln fest, nehme meine Schere in die Hand – und zögere.
Ich darf jetzt nichts falsch machen. Wenn ich etwas falsch zuschneide, ist mein schöner Stoff im Eimer. Ich messe noch mal die Nahtzugaben nach, lese noch mal die Anleitung durch. Und lege dann trotzdem die Schere wieder aus der Hand. Ich traue mich nicht. Ich bin ein Angsthase. Lächerlich. Ich muss zwischendurch etwas anderes tun. Vielleicht fällt mir mit ein bisschen Abstand doch noch ein Fehler ein, der mir passieren könnte.
Ich gehe in den Garten. Auch wenn es regnet. Gerade weil es regnet. Es regnet jetzt seit 14 Tagen ohne Unterbrechung, ich will nachschauen, ob ich mir überhaupt noch Hoffnung machen soll auf einen Sommer mit eigenem Gemüse.
Mamertus, der erste Eisheilige, war der einzige Tag mit etwas Sonne, auf 23 Grad war die Temperatur am Nachmittag sogar gestiegen, abends dann gab es ein Gewitter, und das Thermometer fiel auf nur noch 7 Grad. Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophie waren graue Tage mit Sprühregen, und nur am ersten der Nachmittage war es mal über zehn Grad »warm«.
Ich ziehe mir meine Regenjacke an, husche schnell hinaus, vorsichtig die Metalltreppe zum Garten hoch und stehe dannwieder mal und immer noch vor enttäuschend kahlen Kübeln voll Erde. Nur im Kartoffelsack tut sich was: Die ersten grünen Spitzen der Kartoffelpflanze schauen heraus. Ich brauche Erde zum Aufschütten. Durch den Regen renne ich zum Supermarkt um die Ecke, kaufe einen 20-Liter-Beutel Erde und renne zurück zu meinem Garten. Ich reiße den Sack auf und schaufle mit den Händen Erde auf die Kartoffeltriebe, bis sie bedeckt sind. An einem Strauch putze ich mir die Hände behelfsmäßig ab, knote den Sack Erde zu und schleppe ihn in die trockene Ecke unterm Kirschbaum. Mehr kann ich hier vorerst nicht tun.
Mit ausgiebigem Händewaschen kann ich den ersten Schnitt in meinen Hosenstoff noch etwas hinauszögern, aber dann komme ich nicht mehr drumherum. Ich hole tief Luft, setze die Schere an und drücke zu. Noch mal und noch mal und noch mal. Immer in eineinhalb Zentimeter Abstand um den Papierschnitt herum.
Ich habe es getan, ich habe alle Teile ausgeschnitten. Wenn etwas falsch abgemessen ist, habe ich Pech gehabt, dann brauche ich neuen Stoff. Sorgfältig zeichne ich eine gestrichelte Linie entlang der Kanten der Schnittmusterteile, um später zu wissen, wo genau die Nähte sein müssen. Ich übertrage Abnäher und Anschlusspunkte. Meine Beine schlafen ein, denn ich hocke immer noch auf dem Boden – seit einer Stunde.
»Wollen wir mal Brotzeit machen, ich habe Hunger!«, ruft der Mann.
»Machen wir.« Ich schüttle meine Beine aus, sie kribbeln fies. Auf dem Weg in die Küche fühlt es sich an, als würde ich auf einem Stachelschweinrücken laufen.
Aber nicht nur die Beine tun mir weh, auch meine Finger sind ganz verkrampft. Meine Schneiderschere ist uralt, ich habe sie von meiner Mutter bekommen, sie schneidet mittlerweile nur noch mit viel Gewaltanwendung. Ich schreibemeiner Mutter eine SMS : »Wie alt ist eigentlich die Schneiderschere? Soll ich die mal schleifen lassen?«
Nach dem Essen kommt Antwort von ihr: »Von deiner Oma. Kann nich schaden, ja.«
Nach dem Essen baue ich meine Nähmaschine auf dem Küchentisch auf und fange an, die 18 Einzelteile der Hose mit Zickzackstich zu versäumen.
Es ist eine langweilige Arbeit, und schon nach einer halben Stunde fängt mein Rücken an wehzutun. Ich sitze immer ganz schief an der Nähmaschine, weil ich den linken Arm ausstrecken muss, um
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