Hab ich selbst gemacht
Hälfte des Butternutkürbisses, die nicht im Risotto gelandet ist, sondern zur Kürbissuppe wurde und schon fertig im Kühlschrank auf ihren Einsatz wartet, was für mich heißt: Ich kann mich ein bisschen aufs Sofa setzen und die Wochenzeitung lesen.
Schön ist es hier, auf meinem Sofaplatz, mit der Zeitung in der Hand. Im nächsten Jahr werde ich definitiv wieder mehr lesen. Es ist friedlich. So ruhig. Nur ab und zu höre ich in der Wohnung etwas knacken, kann das Geräusch aber nicht zuordnen.
Als ich nach einer Stunde in die Küche gehe, um das Brot in den Ofen zu schieben, sehe ich sehr genau, woher das Knacken kommt: In kleinen Bröckchen tropft Brotteig aus der Form und an der Form hinunter auf die Heizung und daran hinunter, auf den Fußboden, wie eine zähe Masse Lava nach einem Vulkanausbruch. Der Teig ist bombastisch aufgegangen und offensichtlich passt kein 900-Gramm-Brot in meine Kastenform. Meine innere Ruhe ist dahin. Im Gegenteil: Ich habe einen Kloß im Hals, würde am liebsten heulen angesichts der Sauerei auf meiner Heizung. Wenn der Teig einfach nur auf dem Boden gelandet wäre! Aber er ist auch in die Heizungsrillen gekleckert, klebt an der Wand hinter dem Heizkörper und am Heizkörper selbst.
Es hilft nichts. Ich hole tief Luft und kratze Brotteig von der Heizung, aus den Heizungsrillen, versuche, ihn hinter der Heizung hervorzubekommen, schlucke ein paar aufsteigende Wuttränen hinunter, schrubbe die Wand und wische den Fußboden.
Dann schiebe ich die Kastenform in den Ofen und wasche mir die Hände. Beim Blick in den Spiegel überm Waschbecken schüttle ich den Kopf und schimpfe mit mir selbst: »Haste denn in diesem Jahr noch überhaupt nix gelernt? Kannste vielleicht endlich ma aufhören mit diesem dämlichen ›Wird schon passen‹?«
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Tag 290
Der Geschmack von Backtriebmittel
Ich habe mich lange genug drum herumgedrückt und putze mir auch nach neuneinhalb Monaten Selbermachen die Zähne mit gekaufter Zahnpasta. Das wird jetzt anders.
»Ich mache heute Zahnpasta selbst. Oder eher: Zahnputzpulver«, sage ich zum Mann.
Er sagt: »Ich werde das auf keinen Fall benutzen, nur dass das vorher schon klar ist.«
»Musst du ja auch nicht«, sage ich. Ich kann ihn gut verstehen.
Alles, was ich an Rezepten gefunden habe, klingt zweifelhaft. Die Mischungen bestehen aus feinem Heilschlammpulver mit Meersalz vermischt oder aus getrockneten und zerstoßenen Salbei- und Pfefferminzblättern, ebenfalls mit Meersalz vermischt – geschmacklich vielleicht okay, aber ich gehe davon aus, dass einem nach dem Putzen eine Menge Kräuterfetzen in den Zahnzwischenräumen hängen. In einem Forum bin ich sogar auf einen ausgesprochen widerlichen Eintrag gestoßen: »Ich habe mal irgendwo gelesen, dass das Lutschen von Nacktschnecken die Zahncreme zeitweise ersetzen kann, weil es eine desinfizierende Wirkung hat. Hab’s allerdings noch nicht versucht.«
Ich habe mich für eine Mischung entschieden, die im »Big-Ass Book of Crafts« als »simple« und »economic«, also einfach und billig gepriesen wird.
Sie ist tatsächlich simpel: Backpulver wird mit getrocknetem Zitronenschalenabrieb und ein paar Tropfen Pfefferminzöl vermischt – fertig.
Eine unbehandelte Zitrone habe ich schon gestern Abend abgerieben und die Krümel fast 24 Stunden trocknen lassen. Jetzt gebe ich sie zusätzlich in den Mörser, um sie noch feiner zu zerkleinern. Zirka einen Esslöffel Zitronenkrümel habe ich für mein Zahnpulver, und eigentlich soll ich jetzt 120 Gramm Backpulver dazugeben. Allerdings will ich es mal nicht übertreiben und auch keine Vorräte für die nächsten Monate anlegen, deswegen belasse ich es bei fünf Päckchen, etwa 75 Gramm. Ich schütte sie in ein kleines Marmeladenglas, kippe die Zitronenschnipsel dazu und zwölf Tropfen von dem Pfefferminzöl, das seit meinem Versuch mit dem selbst gemachten Fußbalsam im Badschränkchenherumsteht. Dann drehe ich den Deckel fest auf das Glas und schüttle alles ausgiebig durcheinander.
Es ist ziemlich unspektakulär: Da entsteht nicht etwa etwas völlig Neues, mit anderer Konsistenz oder Farbe, nein, ich habe jetzt einfach nach Pfefferminze riechendes Backpulver mit Zitronenkrümeln in einem Glas.
Vor dem Schlafengehen tunke ich meine Zahnbürste vorsichtig in das Pulver. Der Mann schaut mir interessiert von der Seite zu. »Viel Spaß!«, sagt er.
Er schiebt sich seine Zahnbürste mit Zahnpasta darauf in den Mund, ich zögere noch. Dann schließe ich
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