Hab ich selbst gemacht
die Augen, atme tief ein, öffne den Mund und fange an zu schrubben. Es schmeckt scheußlich.
Der Mann lacht über mein verkniffenes Gesicht: »Na, schmeckt’s?«
Ich brumme nur als Antwort und putze einmal rund herum alle Zähne. Dann spucke ich aus und spüle kräftig nach. Normalerweise putze ich ziemlich ausgiebig, drei Minuten Schrubberei sind für mich keine Herausforderung. Dieses Mal habe ich nicht einmal eine Minute lang Zähne geputzt.
»Muss man wirklich wollen«, sage ich zum Mann und hoffe inständig, mich in den nächsten Tagen an den Geschmack zu gewöhnen. Denn ich habe mir fest vorgenommen, das Glas aufzubrauchen. Und immerhin: Meine Zähne fühlen sich nach dem Putzen einwandfrei sauber an.
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Tag 303
Oh, du Fröhliche!
Meine Mutter ruft an und fragt, ob ich Weihnachten nach Hause komme oder mit dem Mann feiere.
»Oh verdammt!«, entweicht es mir.
»Du musst nicht kommen, weißt du«, sagt meine Mutter etwas beleidigt.
»Doch, doch. Nein. Wirklich gern. Ich hatte nur Weihnachten noch gar nicht auf dem Zettel.« Es ist der 30. Oktober.
Tatsächlich war das, was ich meine Mutter sagen hörte, nämlich nicht nur »Weihnachten«, sondern vor allem »Weihnachtsgeschenke«. Mir fiel in dem Moment, als sie ihre Frage stellte, ein, dass ich nicht einfach nur viele Weihnachtsgeschenke brauche. Sondern vor allem selbst gemachte.
Glück: Ich habe gerade meinen Pullover fertig gestrickt. Ewigkeiten hat das gedauert, an die 50 Stunden habe ich gebraucht, bis ich endlich den letzten Faden abschneiden konnte. Ich bin also wieder frei für neue Projekte.
Unglück: Es werden sehr viele Projekte werden. Meine eigene Familie ist extrem übersichtlich. Für sie Geschenke zu machen, wäre kein Problem in den nächsten … den nächsten 53 Tagen, die es noch bis Weihnachten sind: eine Mutter, eine Schwester, ein Schwager, ein Neffe. Wir sind zu fünft.
Aber die Familie des Mannes ist ausufernd groß: der Mann,eine Mutter, ein Vater, zwei Schwestern, zwei Schwiegerbrüder, drei Neffen, eine Nichte, ein Onkel, eine Tante, eine Cousine. Vierzehn Leute feiern jedes Jahr bei der Familie des Mannes zusammen Weihnachten. Das Haus seiner Eltern ist dann in jeder Ecke mit Menschen vollgesteckt, gegessen wird an zwei langen zusammengestellten Tischen bei der Lautstärke eines Popkonzerts. Und zwar das eines Teeniestars.
»Was wünschst du dir zu Weihnachten?«, frage ich meine Mutter. »Irgendetwas, das ich selber machen könnte?«
Sie überlegt ein bisschen und sagt dann, sie gebe mir Bescheid, wenn ihr was einfalle, freue sich aber über alles.
Als ich aufgelegt habe, gehe ich zum Mann in die Küche und frage auch ihn: »Was wünschst du dir zu Weihnachten, das ich dir selber machen könnte?«
Er grinst mich an und sagt: »Du musst mir nichts selber machen, du kannst mir auch einfach was kaufen.«
Er will mich ärgern – oder hat vielleicht wirklich Angst, irgendwelchen Blödsinn geschenkt zu kriegen. Ich sollte ihm allein schon deshalb etwas auf dem Niveau eines selbst gemalten Bildes schenken. Aber worüber er lacht, wird für mich zu einem wirklichen Problem, stelle ich fest: Da ich mir fest vorgenommen habe, alles, was ich selbst machen könnte, auch selbst zu machen, muss ich jetzt viele, viele Weihnachtsgeschenke selbst machen. Ich brauche Ideen. Und zwar gute. Ideen für Geschenke, die anderen Menschen gefallen werden. In einem meiner Selbermachbücher stand irgendwas in Richtung, man solle nie jemandem etwas Handgemachtes schenken, der nicht selbst handarbeitet. Weil derjenige die Arbeit, die darinsteckt, niemals zu würdigen wisse. Und ich frage mich: Gilt das für alle selbst gemachten Geschenke? Wird die Verwandschaft um den Weihnachtsbaum herumsitzen und mich mit traurig-enttäuschtem Blick anschauen? Weil die Geschenke gut gemeint, aber deswegen noch lange nicht auch gut gemacht sind? Sollte ich vorsichtshalber jedem eine Art Back-up-Geschenk, ein Buch oder eine CD , dazukaufen?
Ich brauche insgesamt zwanzig Weihnachtsgeschenke. Ich lege alle meine Selbermach-Bücher auf einen Stapel, einen Block und einen Stift daneben und beginne, eine Liste zu machen. Später hole ich mir noch den Computer dazu und klicke gut zwei Stunden durch Selbermachblogs, um mich inspirieren zu lassen. Zwischendurch frage ich den Mann, was er von diesem oder jenem hält, aber er ist keine große Hilfe. Kommentare wie »Joa, nett« oder »Kann man machen« helfen mir wenig weiter. Und dass er zwischendurch immer
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