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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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reparaturaufwendig, langsam, teuer, Vergangenheit, Zerfall und mürbe ein.
    Ich mag an alten Menschen ihren Griesgram und Starrsinn nicht. Wenn sie nicht einsehen können, dass sie alt sind, und diesen Frust hinter Ungerechtigkeit verstecken. Wenn sie einfach anstrengend sind, weil sie meinen, sich so benehmen zu können. Aus Altersgründen, aber im Grunde nicht alt sein wollen. Uneinsichtige eben, die ihr Alter nicht anerkennen wollen. Allerdings gibt es diese Sorte auch schon in meinem Jahrgang. Die wollen Kind bleiben und keine Verantwortung übernehmen. Sie weigern sich weiterzugehen und sie behandeln die Altersgenossen, die eben reifer geworden sind, als wären sie Verräter an der Jugend.
    Mir imponiert an alten Menschen, wenn sie Geschichten erzählen können und in ihren Geschichten deutlich wird, sie haben etwas erlebt. Sie haben nicht nur gelebt. Sie haben Erfahrungen gesammelt, die man ihnen abnimmt. Vor allem, weil sie diese Erfahrungen nicht als Maß aller Dinge herüberbringen. Das haben sie gar nicht nötig. Ich glaube, die Formel ist ganz einfach und doch sehr schwer: anzuerkennen, in welcher Lebensphase man sich befindet und ohne Bitterkeit und Neid zurückzuschauen und auch junge Menschen zu mögen. Ohne sich durch deren Jugend angegriffen zu fühlen.
    Wenn ich plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich mein Handy mitnehmen. Mit den gespeicherten Daten bekomme ich alles zurück. Ja, das glaube ich (lacht).
    Wenn ich mir vorstelle, ich wäre 86 Jahre alt, hoffe ich als Erstes, ich bin nicht allein. Und hoffentlich nicht so ätzend wie die Menschen, die ich negativ beschrieben habe. Ich wäre gern eine zufriedene alte Frau voll mit gelebten Geschichten.

Kapitel 7
     
    Ich hatte wortlos aufgelegt.
    »Papa ist seit zehn Jahren tot«, klang es in meinem Kopf wie Hohngelächter nach. Wenn das ein Scherz sein sollte, dann war es einer von der geschmacklosen Sorte. Der absolut geschmacklosesten.
    Wer zum Teufel hatte mich da eben angerufen? Auf keinen Fall war das Mira gewesen. Mira, die mit ihren elf Jahren gerade in das ›alles ist irgendwie peinlich oder witzig oder langweilig‹-Alter gekommen war. Die in ihrer leicht überdrehten Art viel zu schnell redete und manche Worte in ihrer Hast verschluckte. Eine quirlige Elfjährige, die sich schon als Teenager verstand. Das war Mira und nicht die souverän klingende erwachsene Frau, die sich gerade als meine Tochter ausgegeben hatte. Grotesk. Ich ärgerte mich, dass ich nicht gleich aufgelegt hatte. Warum hatte ich überhaupt so lange mit dieser Fremden telefoniert? Sogar richtig ernsthaft gesprochen. Vielleicht war alles auf Band aufgenommen worden und sollte in einer dieser ›GuteLaune Morning Shows‹ im Radio gesendet werden. Oder ›Vorsicht Kamera‹. ›Verstehen Sie Spaß‹ mit Psychiatern. Wie reagieren Mitglieder der Zunft, wenn sie aufs Glatteis geführt werden?
    Die Opfer dieser Lustignummern wurden sicher nicht nach dem Zufallsprinzip ausgesucht. Aber wer sollte mich für so eine Vorstellung zum Abschuss freigegeben haben?
    Hans würde das nie tun. Ausgeschlossen. Verdammt noch einmal, wo steckte er? Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Das Gewitter zog wild und schnell über uns hinweg. Die Dramatik der Naturgewalten weckte wieder meine mütterliche Sorge. Hoffentlich waren meine Kinder in Sicherheit. Aber wo? Bei wem könnten sie zu dieser Uhrzeit noch sein? Ich musste mir eine Liste machen und sie der Reihe nach abtelefonieren. Hans hatte sicher so einen Notfallplan parat liegen. Mein Mann für alle Fälle. Wo bist du? Ich musste mich bislang nie um häusliche Notfälle und Kindersuchaktionen kümmern. Dafür verdiente ich den Löwenanteil vom Familieneinkommen.
    Ich begegnete meinem Gesicht im Spiegel. Es sah müde aus. Ich fuhr mir durch das blonde Haar und sah dann an mir herunter. Die Reithosen schlugen hässliche Wellen. Seit wann waren sie mir zu groß? Ich konnte doch unmöglich an einem Nachmittag so viel abgenommen haben.
    Ich würde mich erst einmal umziehen. Vielleicht auch duschen, um wieder klarer denken zu können. Danach die Kinder und Hans suchen. Das war der Plan.
    Als ich im Schlafzimmer das Licht anschaltete, blieb ich wie angewurzelt stehen. Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf einen einzigen Gegenstand. Einen Koffer. Er war pinkfarben, mit weißen Punkten verziert und – er gehörte mir. Vor langer, langer Zeit. Als Kind hatte ich ihn überallhin mitgeschleppt. In jeden Urlaub, selbst auf die

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