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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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ihn mit einer schnellen Bewegung und flüchtete mit meiner Beute ins Wohnzimmer.
    Als ich dort das Deckenlicht anschaltete, breitete sich in meinem Bauch ein wohliges Gefühl der Vertrautheit aus. Dieses Zimmer war das alte geblieben. Sogar mein Sessel, in den ich mich viel zu selten setzte, stand noch an Ort und Stelle. Ich freute mich darüber wie ein beschenktes Kind und wurde ruhiger. Sicher löste sich auch alles andere in Wohlgefallen auf. Hans würde gleich mit Lasse und Mira nach Hause kommen. Ich nahm mir vor, ihm keine Vorwürfe zu machen. Er würde seine Gründe gehabt haben, da war ich mir bei meinem Mann sicher. Er war grundzuverlässig. Ich brauchte ihm nicht weiter hinterherzutelefonieren. Ich würde einfach warten.
    Ich ließ mich mit einem kleinen Seufzer in den Sessel sinken. Auf dem Beistelltisch stand auf einem Tablett eine geöffnete Flasche mit Merlot bereit. Auch saubere Gläser, ordentlich auf den Kopf gestellt. Ich drehte eines herum und schenkte mir von dem Wein ein. Bevor ich trinken konnte, klingelte abermals das Telefon. Nein, ich hatte keine Lust, noch einmal aufzustehen. Wirklich nicht. Aber ich kam ins Schwanken. Immerhin könnte es Hans sein. Okay. Gewonnen. Ich rappelte mich hoch. Meine Gliedmaßen gehorchten noch immer verlangsamt auf meine Befehle. So einen verdammten Muskelkater hatte ich seit Ewigkeiten nicht gehabt. Als ich das Telefon endlich erreichte, verstummte es. Auf dem Display leuchtete wieder: Dr. Ohlsen. Idioten. Jetzt reichte es. Entschlossen drückte ich auf besetzt und sperrte somit den Apparat für weitere Anrufe.
    Wieder zurück in meinem Sessel, nahm ich das Weinglas und trank langsam ein paar Schlucke mit geschlossenen Augen. Mir war bewusst, in dieser ungeklärten Stimmungslage war es dumm von mir, Alkohol zu trinken. Egal. Ich brauchte dringend Abstand. Schon nach einem halben Glas spürte ich eine angenehme Leichtigkeit, diesen gütig umhüllenden Nebel. Ich war beschwipst. Das war ebenfalls ungewohnt für mich, denn ich konnte normalerweise einen Stiefel vertragen. Aber heute war scheinbar alles auf den Kopf gestellt. Ich beschloss, im Sessel sitzen zu bleiben. Vielleicht würde ich sogar hier schlafen und warten, bis Hans mit den Kindern nach Hause kam. Ich lehnte mich zurück und ließ meine Hände baumeln. Mit der rechten stieß ich gegen den Koffer. Stimmt, der war auch noch da. Ich umklammerte seinen Griff und zog ihn zu mir auf den Schoß. Mit zitternden Händen, als könnte sich bei seinem Inhalt Sprengstoff befinden, versuchte ich, die Klickverschlüsse zu öffnen. Sie waren angerostet. Ich musste alle Kraft anwenden, bis sie nachgaben und ich vorsichtig den Deckel hochklappen konnte.
    Im Koffer befanden sich nicht, wie vermutet, die Handpuppen und Malereien meiner kleinen Schwester, sondern meine eigenen alten Schätze. Fotos und Briefe und ein paar Bücher.
    Ich schob mit spitzen Fingern die obenliegenden Fotos hin und her. Sie lagen mit dem Bild nach unten. Endlich traute ich mich, eines von ihnen umzudrehen, und mir lächelte Chris entgegen. Ich lächelte automatisch zurück. Chris. Meine Güte. Das war lange her. Meine erste Liebe. Wir waren fast ein Jahr zusammen, was man mit 14 so zusammen sein nennt. Jedoch zu dem Zeitpunkt war es ernst gemeint und sollte eine Liebe fürs ganze Leben sein. Wir waren am gleichen Tag geboren und hielten das für das große Zeichen. Für die Nacht zu unserem 15. Geburtstag hatten wir unseren ersten echten Beischlaf geplant. Ganz großes Kino. Aber ausgerechnet an dem Abend musste ich auf Lena aufpassen. Mama und Steve wollten zu einer Feier in den ›Seemann‹. Ein Restaurant, das ein paar Straßen von unserem Haus entfernt lag. Chris und ich hatten hin und her überlegt. Sollten wir unsere erste Liebesnacht verschieben? Das kam auf gar keinen Fall infrage. Wir waren uns einig: Es musste in dieser Nacht passieren. Genau in dieser.
    Die Dringlichkeit, an diesem Abend selbst auszugehen, konnte ich meiner Mutter natürlich unmöglich erklären. Wer weiß, vielleicht hätte sie es sogar verstanden. Der Gedanke kam mir zum ersten Mal. Dann wäre alles anders gekommen, und ich hätte nicht auf Lena aufpassen müssen. Wir hätten uns bei Chris getroffen. Aber ich hatte sie nun einmal nicht gefragt, weil es ein Geheimnis bleiben sollte. Wenn ich andere eingeweiht hätte, wäre das Besondere zwischen mir und Chris zerstört gewesen.
    So beschlossen wir, dass Chris zu mir kommen sollte. Mit Lena würde ich mir etwas

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