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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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einfallen lassen. Ich begann sie schon am Nachmittag mit freundlicher Zuwendung zu umgarnen. Die war meine kleine Schwester von mir nicht gewohnt, und doch ließ sie mich ohne Argwohn in ihre Nähe und vertraute mir. Dabei, auch wenn sie erst knapp sechs Jahre alt war, sie musste meine Abneigung doch gespürt haben. Ich mochte sie nicht. Dieses Nesthäkchen. Dieses Sonnenscheinchen. Aber Lena liebte mich. Heiß und innig. Grundlos und unbeirrbar. Das machte mich manchmal noch wütender. Ihre unverdrossene Freundlichkeit. Ihre Anhänglichkeit. Sie hing mir an den Fersen und genoss es, mit mir zusammen zu sein. Egal, wie mies ich sie behandelte.
    An dem bewussten Abend brauchte ich ihre bedingungslose Zuneigung zum ersten Mal. Vor allem ihre Verschwiegenheit. Sie sollte Mama auf keinen Fall verraten, dass Chris so lange bei mir bleiben würde und – sie sollte uns in Ruhe lassen!
    Um ganz sicher zu gehen, übergab ich ihr meine persönlichen Kronjuwelen zum Spielen. Meinen Kinderkoffer. Lena wusste seinen Wert zu schätzen. Sie war ein schlaues Mädchen. Sie versprach hoch und heilig, in ihrem Zimmer zu bleiben und lieb und brav zu schlafen.
    Unser Haus war ebenerdig, und alle Schlafzimmer hatten eine Terrassentür zum Garten. Durch die Tür sollte Chris zu mir kommen, damit er nicht zu klingeln brauchte. So war es abgesprochen. Ich hatte auf meinem Schreibtisch und auf der Fensterbank Teelichter verteilt. Das Kerzenlicht tauchte mein Zimmer in ein sanftes Licht. Als wäre über alles ein Schleier gelegt. Ein Brautschleier. Ich hatte mir den Kopf zerbrochen, wie viel Helligkeit für unser intimes Beisammensein angebracht war. Elektrisches Licht war zu kalt, und es war auch nichts Besonderes. Chris sollte mich sehen können, aber nicht zu deutlich. Mindestens so kompliziert gestaltete sich die Frage: Was ziehe ich an? Ich hatte mich schließlich für ein halblanges Sommerkleid entschieden, obwohl wir erst Ende April hatten.
    Auf meinen Nachttisch hatte ich eine glitzernde Tülldecke drapiert. Darauf standen eine Flasche Sekt und zwei Gläser. Die guten Sektkelche aus unserem Wohnzimmerschrank. Das geschliffene Glas reflektierte im Kerzenlicht die Regenbogenfarben.
    Chris war pünktlich. Er blieb einen Augenblick in der Tür stehen und betrachtete mich, als sähe er mich zum allerersten Mal. Ich spürte, wie meine Haut zu brennen begann. Bevor Chris zu mir kam, verteilte er auf dem Fußboden Rosenblätter. Rosarote. Meine Lieblingsfarbe. Ich beobachtete ihn fasziniert und fühlte mich wie eine Prinzessin.
    Ich glaube, wir mochten zu der Zeit beide noch keinen Sekt, aber wir tranken ihn. Die Vorbereitungen waren beendet. Nun konnte die Premiere beginnen. Vorhang auf. Mit dem Bewusstsein kam das Lampenfieber, und die anfängliche Erregung war wie weggeblasen. Wir nahmen uns wie Holzpuppen in den Arm und küssten uns vorsichtig. Dabei hatten wir in dem vergangenen Jahr so heftig und lange miteinander geknutscht, dass uns hinterher oft die Lippen wehtaten. Wir hatten uns ungeniert befummelt. Immer intensiver und gespürt, dass der andere erregt war.
    Wir brauchten zwei Gläser Sekt, bis wir uns auszogen. Dabei vermieden wir es, uns anzusehen. Wir lagen nackt auf meinem Bett und begannen uns angestrengt zu küssen. Dann legten wir uns wie nach einer Bauanleitung in eine Beischlafposition.
    Es brauchte etliche Anläufe, bis Chris endlich den Weg zu mir fand. Es tat nicht weh und es erregte mich nicht. Chris muss es ähnlich gegangen sein. Er lag einfach nur auf mir und traute sich nicht, sich zu bewegen. Dann sahen wir uns in die Augen. Das war der schönste und innigste Augenblick.
    Später ging Chris wieder über den Garten nach Hause. Er konnte nicht die ganze Nacht bleiben. Seine Eltern würden ihn am Morgen mit einem Geburtstagsständchen wecken wollen. Das hatte er mir ein wenig verschämt gestanden. Und auch ich war sicher, dass Mama morgens mit einer Geburtstagskerze zu mir ins Zimmer kommen würde. Deshalb trennten wir uns. Ich blieb nackt auf meinem Bett liegen und träumte. Die Tür war nur angelehnt. Es war eine ungewöhnlich milde Nacht, und der Luftzug tat gut. Ich beobachtete die letzten brennenden Kerzen und fühlte mich als Frau. Ich war 15 Jahre alt und keine Jungfrau mehr. Da knarrte die Terrassentür.
     
    Interview: männlich, 61 Jahre
     
    Zum Wort ›alt‹ fällt mir Mittagsschlaf ein (den habe ich mir gerade gegönnt, und das habe ich sonst nie getan), alter Wein, Antiquitäten und wertvoll.
    Was ich

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