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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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genauso aus wie am Tag zuvor. Fremd. Auch wenn ich dieses Mal auf den Anblick vorbereitet war, traf er mich wie ein feiner Nadelstich.
    »Wunderschön«, murmelte Magdalene, als sie das mit herbstbuntem Weinlaub überrankte Haus betrachtete. Ob sie unser weißes schnörkelloses schön gefunden hätte? Hoffentlich war niemand zu Hause, war mein nächster Gedanke. Immerhin hatte – hatte Mira versprochen, so schnell wie möglich zu kommen. Ich atmete gegen einen aufkommenden Druck in der Herzgegend an und überprüfte mit den Augen die Fenster. Sie waren alle geschlossen. Wir hatten geschätzt über 20 Grad. Wenn sich jemand im Haus befunden hätte, stünde mit Sicherheit ein Fenster auf Kipp.
    Ich wollte die ersten Stufen der Außentreppe hochsteigen, als es mir siedend heiß einfiel: Ich hatte überhaupt keinen Hausschlüssel! Außer dem Kinderkoffer hatte ich kein Gepäck dabei. Ich erinnerte mich, dass ich morgens im Heim weder Papiere noch Handy oder Schlüssel gefunden hatte. Sie hatten mir wahrscheinlich alle Wertsachen weggenommen. Daran hatte ich im Hotel nicht mehr gedacht. Wie kurzsichtig von mir! Was sollten wir jetzt tun?
    »Ich habe keinen Schlüssel«, stammelte ich und sah Magdalene Hilfe suchend an. Die zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich an das Treppengeländer. Diese Lethargie gefiel mir ganz und gar nicht. Die passte nicht zu der besonnenen und doch zielstrebigen Person, die ich am selben Morgen kennengelernt hatte. Die Wandlung machte mir deutlich, wie sehr ihre erfolglose Exkursion sie mitgenommen haben musste. Sie brauchte dringend Ruhe. Ich musste mich zusammenreißen und für uns beide Stärke ausstrahlen.
    Ich konzentrierte mich. Was macht man in so einer Situation? Ich hatte bislang meine Schlüssel stets dabei – aber Hans nicht!
    »Kein Problem. Ich setze auf das Einhalten alter Gewohnheiten. Wir hatten immer einen Ersatzschlüssel im Gartenhäuschen liegen«, verkündete ich leichthin. Während ich das sagte, hoffte ich inständig, dass das Häuschen noch existierte. Bestimmt, sprach ich mir Mut zu. Das Gartenhäuschen ist – war Hans‹ Lieblingsplatz. Er hatte sogar eine kleine Veranda davorgebaut. Das hatte ich garantiert nicht abreißen lassen, auch wenn er schon so lange – tot war. Diese Fakten gingen mir wie gestottert durch den Kopf. Sie als Wahrheit anzuerkennen, fiel mir unglaublich schwer. Doch ich hatte keine andere Wahl, wenn ich für Magdalene und mich die Verantwortung übernehmen wollte.
    Als ich um die Hausecke kam, blieb ich abrupt stehen. Der Garten war ein einziges Blütenmeer. Blüten der unterschiedlichsten Blumen, deren Namen ich nicht kannte. Außer von zweien: Das waren rosarote Rosen und blassgelber Frauenmantel. Sehr viel Frauenmantel. Ich hatte ihm großzügig Platz gelassen. Wie in meinem Traum, musste ich denken und heftig gegen aufkommende Tränen ankämpfen.
    Und inmitten dieser Blütenpracht stand unser Gartenhäuschen. Es sah genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Magdalene war mir gefolgt.
    »Ein wunderschöner Garten.« Sie flüsterte, als könnte uns jemand belauschen. Dabei ging ein hauchzartes Lächeln über ihr erschöpftes Gesicht. »Hier würde ich am liebsten bleiben.«
    »Das können Sie, wenn Sie wollen«, sagte ich mit heiserer Stimme. Es traf mich ein wehmütiger Blick von ihr. Sie glaubte mir augenscheinlich nicht. Dafür war ich jetzt sicherer als je zuvor, das Richtige zu tun.
    »Vertrauen Sie mir einfach«, sagte ich und dachte, ich brauche nur noch den Schlüssel.
    Ich bahnte mir durch die üppig blühenden Stauden einen Weg zum Gartenhaus. Die Tür war verschlossen. Keine Panik, Michelle. Erinnere dich. Die Tür hatte eine Macke. Hans hatte sie an der Klinke immer ein wenig anheben müssen. Dann ließ sie sich öffnen. Die Vertrautheit dieses Handgriffes beruhigte mich. Die Tür gab wirklich nach. Ich atmete tief durch und trat in das schummrige Licht des Schuppens. Hier sah alles so aus wie eh und je. Auch das Regal mit den unterschiedlich großen Pappschachteln war noch vorhanden. Hans hatte Unmengen von Nägeln, Haken, Schnürbändern und anderem Kleinkram gesammelt. In einer der Schachteln mussten sich Schlüssel befinden. Schlüssel von Fahrradschlössern, Zimmertüren, die es nicht mehr gab und von längst geschlachteten Sparschweinen. Ich fand sie an ihrem alten Platz, ganz hinten in der linken Ecke. Ich öffnete sie und starrte auf den Schlüssel-Salat. Unter ihm lag unser Hausschlüssel vergraben. Jedenfalls

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