Hab keine Angst, mein Maedchen
war ich froh, dass ich allein im Taxi saß. Sonst wäre die Sache klar gewesen. Wir werden als gepflegte Erscheinungen beschrieben. Genau beschrieben bis hin zu meinem schneeweißen Haar, Ihrer geblümten Bluse und dem Kinderkoffer. Sie betonen, dass wir orientierungslos wären. Zwei alte Frauen, die dringend Hilfe benötigen.«
»Wie geht das so schnell an? Wir sind doch gerade ein paar Stunden unterwegs.«
»Tja, Norbert versteht sich auf Medien. Ich weiß nicht, wie er das hingekriegt hat, aber dass er dahintersteckt, ist eindeutig. Was sollen wir jetzt unternehmen? Das heißt, die Frage lautet eher: Wie soll es für Sie weitergehen? Mir ist es mittlerweile einerlei. Dann gehe ich eben wieder in das ›Domizil am See‹. Da war es ganz nett.«
Ich sah Magdalene höchst alarmiert an.
»Nix da. Wir brauchen nur ein bisschen Zeit zum Überlegen. Wo wurde wohl zuerst nach uns gesucht?«
Magdalene antwortete nicht. Also überlegte ich laut allein weiter.
»Zu Hause. Also, ich meine, bei mir zu Hause. Dort werden sie sicherlich schon gewesen sein. Was dann? Ihr Neffe wird wahrscheinlich längst mit der Heimleitung gesprochen haben. Irgendeiner hat ein Taxi gesehen, oder er vermutet, dass wir eins gerufen haben. Er wird den Taxifahrer finden, vielleicht schon gefunden haben, und somit wissen, wo wir sind. Im Hotel ›Angelika‹. Wir müssen hier schnellstens verschwinden.«
Ich stand auf.
»Aber wo sollen wir hingehen?«, fragte Magdalene wenig überzeugt und blieb sitzen. »Ich werde nicht weiter weglaufen.«
Ohne auf ihren Einwand einzugehen, sagte ich: »Dorthin, wo sie uns zuerst gesucht haben: zu mir nach Hause.«
»Aber sie werden wiederkommen. Nein, das ist wirklich lieb gemeint von Ihnen. Aber Ihr Heim ist kein gutes Versteck.«
Versteck, hallte es in mir nach. Und da traf mich ein Gedanke wie ein Blitz. Er machte mir ein wenig Angst, aber ich sah ein, dass es die einzige vernünftige Lösung war. Vorerst.
Interview: weiblich, 47 Jahre
Bei dem Wort ›alt‹ denke ich zuerst an meine Eltern. Sie wohnen weit von mir entfernt, und ich mache mir Sorgen, wie es sein wird, wenn sie Hilfe brauchen. Und ich denke an eine Freundin, mit der ich seit Kindertagen zusammen war. Eine alte, beständige Freundschaft, und doch ist sie zerbrochen. Seit einem Jahr, und ich leide unter dem Bruch. Ich denke, um ehrlich zu bleiben, bei dem Wort ›alt‹ auch an mein Aussehen und seine Vergänglichkeit.
An alten Menschen stört mich, wenn ich das stören nennen kann, ihr Geruch. Nicht immer. Aber sie riechen manchmal ungelüftet und eben alt.
Ich wohne mitten in einer Großstadt, und mir imponiert an alten Menschen, wie sie mit dem Trubel und dem Straßenverkehr zurechtkommen. Sie schleppen, mit einem Gehstock in der einen Hand, in der anderen ihre Einkäufe nach Hause. Das Zuhause liegt oft in einer höheren Etage ohne Fahrstuhl, aber sie schaffen das. Allerdings weiß ich sonst nicht viel von ihnen. Ich habe wenig mit alten Menschen zu tun.
Wenn ich plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich meinen Laptop mitnehmen. Das fällt mir als Erstes ein. Wenn ich Zeit hätte, so viele Bilder wie möglich. Die sind von Freunden gemalt, und ich hänge sehr an ihnen.
Ich werde eine sehr dünne, richtig magere 86-Jährige sein. Die aber hoffentlich nicht allein ist. Am liebsten, so ist meine Wunschvorstellung, wohne ich dann in einer WG mit Freunden und habe noch Kontakt zu meinen Kindern.
Kapitel 17
Ich vertrödelte keine Zeit, um Vorkehrungen zu treffen. Mir Strategien auszudenken, die uns möglichst unentdeckt aus dem Hotel schleusen könnten. Vielleicht getrennt fahren oder zeitversetzt. Magdalene und ich würden uns ein Taxi nehmen. Schluss mit dem Versteckspiel. Basta!
Der Mann an der Hotel-Rezeption hatte im Hintergrund Fernsehen laufen. Es war ihm offensichtlich wurscht, aus welchem Grund wir nur für wenige Stunden Zimmer gemietet hatten. Und im Taxi dudelte ein türkischer Sender oder eine CD. Insofern liefen wir auch hier nicht Gefahr, enttarnt zu werden. Und selbst wenn, es wäre keine Katastrophe gewesen. Ich wusste nun, was ich im Falle eines Falles zu antworten hatte. Geantwortet hätte. Um ehrlich zu sein: Ich war heilfroh, dass unsere Fahrt glatt verlief und ich noch nicht auf die Probe gestellt wurde. Zumal ich nicht wusste, wie Magdalene reagiert hätte. Sie war nicht mehr kampfbereit. Ich hatte sie mit Mühe überreden können, mich zu begleiten.
Unser Haus in der Lohstraße sah
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