Hab und Gier (German Edition)
verlangte die sofortige Scheidung.
Zwar hatte ich mir Kinder gewünscht, aber am Ende war ich erleichtert, dass es nicht so gekommen war. Mein Mann betrog nämlich auch seine zweite Frau, lebte irgendwann von der dritten Gattin getrennt und musste für insgesamt vier Söhne aus drei Beziehungen Unterhalt zahlen.
Wenn ich mich auch schon lange mit meinem Singledasein abgefunden habe, so beneide ich doch meinen Bruder um seine große Familie. Er lebt zwar in Toronto, wohin ich noch niemals gekommen bin, aber er reist alle zwei Jahre nach Europa, vor allem, um mir die Fotos von sechs allerliebsten kleinen Blondschöpfen unter die Nase zu halten. Auch Wolfram konnte nicht mit Enkelkindern angeben, aber er hatte unter den jugendlichen Lesern ein paar Freunde, die ihn in seinem Büro aufsuchen und über ihre Lektüre fachsimpeln durften. Vielleicht kompensierte er dadurch die schmerzliche Lücke, während ich mich mit der viel jüngeren Kollegin gut verstand, nicht aber mit fremden Kindern.
Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen, als ich an einem frühen Nachmittag schließlich vor Wolframs Tür stand, die auch jetzt wieder überraschend schnell geöffnet wurde.
»Hallo, Karla, ich habe dich fast erwartet«, sagte er. Allerdings trug er diesmal keinen Rollkragenpullover und Jeans, sondern einen fleckigen, schlotternden Jogginganzug, der einen säuerlichen Geruch ausdünstete. Doch ich ließ mich nicht aus dem Takt bringen. Innerlich zählte ich jeden Schritt durch die Diele bis zum Wohnzimmer. Dort stand schmutziges Geschirr auf dem Tisch, auf den Sesseln lagen Bücher herum. Wolfram fegte rasch ein paar Textilien vom Sofa und bot mir einen Platz an.
»Natürlich mache ich mir Sorgen«, begann ich mit einem unauffälligen Blick in die Runde. »Ich frage mich, ob du bei deiner schweren Erkrankung ohne Betreuung zurechtkommst. Ich wollte dir Hilfe anbieten, ich könnte zum Beispiel für dich einkaufen…«
»Ja, ja«, sagte er, »ich merke selbst, dass es nicht mehr lange gutgeht. Ich habe zwar eine Zugehfrau fürs Putzen, aber das reicht nicht. Mir fällt jeder Schritt immer schwerer.«
»Wie ist es mit dem Essen?«, fragte ich.
Im Moment beliefere ihn die Apotheke mit Astronautenkost. Bis zur Waschmaschine im Keller schaffe er es auch nicht mehr, dabei seien die Vorräte an sauberer Kleidung längst aufgebraucht. Immerhin habe er die Zusage vom Hospiz, jederzeit dort einziehen zu dürfen, sobald er nicht mehr klarkomme.
»Genau das ist aber mein Problem«, sagte er. »Ich hasse Krankenhäuser mit Palliativstationen und sogar dieses freundliche Hospiz, das mir mein Hausarzt vermittelt hat; ich würde sehr viel lieber zu Hause sterben. Wenn du mir deine Unterstützung anbietest, dann nehme ich dankend an. Soviel ich weiß, hast du dein Auto verkauft, und ich soll sowieso nicht mehr fahren. Du könntest nach Belieben mit meinem Wagen deine und meine Besorgungen erledigen, aber auch meine Wäsche in die Reinigung bringen oder Rezepte abholen. Es soll nicht zu deinem Schaden sein!«
Natürlich versicherte ich, es sei doch selbstverständlich, einem früheren Kollegen beizustehen.
»Nein«, sagte er. »Du verstehst mich nicht richtig. Falls du mich vor der Klinik bewahrst, sollst du nicht bloß ein Viertel erben, sondern die Hälfte meines –«
»Keine Ahnung, was dein Haus wert ist«, entfuhr es mir, denn ich wollte mich auf keinen Fall auf leere Versprechungen einlassen. »Hast du überhaupt schon ein Testament gemacht?«
»Endlich kommen wir zur Sache«, sagte Wolfram und schien sich überhaupt nicht über meine Taktlosigkeit zu ärgern. »Ich habe mir das so gedacht: Ich formuliere drei unterschiedliche Testamente und drucke sie zur Ansicht aus. Wenn du dir eines davon ausgesucht hast, werde ich es mit meinem guten alten Füller abschreiben, mit aktuellem Datum versehen und unterzeichnen. Im ersten Entwurf steht, dass du ein Viertel meines Vermögens erhältst, wenn du für die Grabpflege und die Inschrift sorgst, der zweite ist für den Fall gedacht, dass du mich so lange wie möglich vor dem Krankenhaus rettest – dann gibt es die Hälfte.«
Und im dritten Testament? Er machte eine lange Pause, und ich wurde misstrauisch.
Er sagte immer noch nichts. Ich betrachtete die Topfpflanzen, die alle eingegangen waren.
»Es geht um ein Tabu«, begann er schließlich. »Du wirst meine Alleinerbin, falls du mir die Liebe tust und mich umbringst.«
Sekundenlang starrte ich ihn fassungslos an und sprang dann hoch
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