Hab und Gier (German Edition)
wie von der Tarantel gestochen, wobei dem Sofa eine Staubwolke entwich, die im trüben Lichtstrahl der Stehlampe herumtanzte.
»Bist du wahnsinnig?«, brüllte ich. »Meinst du etwa, im Knast hätte ich Freude an deiner Erbschaft?«
Ohne mich zu verabschieden, lief ich hinaus und vergaß völlig, dass ich eigentlich Küche und Bad inspizieren, die Größe des Gartens abschätzen und nach der Anzahl der Zimmer hatte fragen wollen.
Er folgte mir bis zur Schwelle und rief mir hinterher: »Das ist nicht dein letztes Wort!«
Vielleicht hat Wolfram Metastasen im Hirn, dachte ich auf dem Heimweg. Wahrscheinlich kriegt er Opiate, die einen massiven Realitätsverlust zur Folge haben. Wenn er unbedingt sein Leben beenden will, dann soll er doch selbst den Mut dazu aufbringen und nicht ausgerechnet mich für seine Zwecke einspannen! Ich nahm nicht den Bus, sondern lief durch die nicht gerade attraktive Mannheimer Straße bis zu jenem Hochhaus in der Weststadt, in dem ich seit langem ohne Balkon wohnen muss. Mit seinem Garten, der Terrasse und der ruhigen Lage hatte es Kollege Kempner immer besser gehabt, wenn es auch mit seiner giftigen Bernadette nicht viel zu lachen gab. Im Übrigen ertappte ich ihn nachträglich bei einem entscheidenden Denkfehler: Wie konnte ich nach seinem Tod ein Testament vorlegen, in dem ich schriftlich als seine Mörderin bezeichnet und gleichzeitig begünstigt wurde? Andererseits meinte ich mich zu erinnern, dass Beihilfe zum Selbstmord keine Straftat war. Doch wieso ging er nicht einfach ins Ausland? Wieder einmal hätte ich mich ohrfeigen können, weil ich nicht gelassen geblieben war. Warum hatte ich ihm nicht vorgeschlagen, mal bei den Profis anzuklopfen? Der halbe Wert seines Hauses sollte mir genügen und war schließlich auch nicht zu verachten. Mit wunden Füßen kam ich zu Hause an und ärgerte mich schon wieder: Warum hatte ich nicht die Autoschlüssel und den Kraftfahrzeugschein verlangt und war zurückgefahren?
Eine begnadete Köchin werde ich wohl nicht mehr werden, denn ich habe mich erst als Rentnerin mit neueren Rezepten und Experimenten am Herd befasst. Das Ergebnis kann sich zwar sehen lassen, aber ich traue mich nicht, für viele Personen zu kochen, am liebsten nur für zwei. Ich lud Judith auf ein Abendessen ein, wofür sie allerdings am Wochenende keine Zeit hatte. Mir konnte es egal sein, ob sie nun an einem Mittwoch oder Donnerstag kam, Hauptsache, ich konnte meiner einzigen Mitwisserin von der zweiten seltsamen Begegnung mit Wolfram erzählen.
Judith ist keine Kostverächterin, sie muss aufpassen, dass sie nicht jedes Jahr ein paar Pfunde zulegt. Feldsalat mit roter Beete, Penne mit Kräutern, Kapern und Walnüssen, Lammcurry mit Fladenbrot und zum Nachtisch eine Mokkacreme, das war ganz nach ihrem Gusto. Es fehlte nicht viel, und sie hätte die Schüsseln ausgeleckt. Erst hinterher berichtete ich von meinem zweiten Besuch in der Biberstraße. Sie hörte aufmerksam zu.
»Wo ist das Problem?«, fragte sie und tupfte mit ihrer Stoffserviette verkleckerte Currysauce auf. »Du reichst ihm ein Wasserglas mit aufgelösten Schlaftabletten. Viel anders machen es die Sterbehilfe-Fuzzis doch auch nicht! Wenn er in einem handgeschriebenen Abschiedsbrief seinen Freitod angekündigt hat, ist doch alles in trockenen Tüchern.«
»Aber warum braucht er dabei meine Hilfe? Verstehe das, wer will!«
Judith zog die Stirn in Falten. »Man müsste im Vorfeld genug Pillen gesammelt haben, damit er nach einem erholsamen Nickerchen nicht wieder wach wird! Am besten, wir lassen uns beide vom Hausarzt ein Privatrezept gegen schwere Schlafstörungen verschreiben, später von einem anderen Arzt noch eins und so weiter, dann besorgen wir uns das Zeug in verschiedenen Apotheken. Logischerweise schafft Wolfram einen solchen Aufwand nicht…«
»Leider habe ich mich über seinen Vorschlag so aufgeregt, dass ich ihn fluchtartig verlassen habe. Ich dachte, er sei wahnsinnig geworden und wolle mich in illegale Machenschaften verwickeln!«
»Ruhig, Brauner!«, sagte Judith belustigt. »Es ist nicht verboten, Schluss zu machen, und in Wolframs Fall doch nachvollziehbar. Es ist ein Akt des Erbarmens, ihn dabei zu unterstützen.«
»Mag sein, aber um ehrlich zu sein, bin ich nicht Mutter Teresa, sondern denke dauernd gierig an sein großes Haus. Sein Auto steht mir jetzt schon zu, wenn ich für ihn einkaufe. Irgendwie hat er mich mit materiellen Anreizen geködert, das ist in hohem Maße
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