Hab und Gier (German Edition)
eingehend betrachten. Das Objekt seiner Begierde ist geschminkt und hat die lackierten Krallen katzenhaft ausgefahren. Der Mann hält seine Maske im Übrigen wie einen Fotoapparat in die Höhe, fast wie ein Paparazzo, der seinen Beruf als Alibi für den eigenen Voyeurismus nimmt.
Ein interessantes Bild. Offenbar war Bernadette für Wolfram nicht nur die verschlingende, zerstörende Mutter, sondern auch eine verführerische Odaliske.
Hätte man mich gefragt, welche Bilder wohl bei Wolfram daheim an der Wand hingen, so hätte ich auf Spitzweg getippt und ihm ein Gemälde wie Der Bücherwurm oder Der arme Poet angedichtet. Es heißt ja, dass wir Büchermenschen weltfremd, versponnen und altmodisch seien. Doch in meinem Bekanntenkreis erinnerte einzig Wolfram an ein bucklig Männlein, das zurückgezogen in seinem Wolkenkuckucksheim lebte.
Inzwischen hatte ich den Grundriss des Hauses ziemlich genau im Kopf: Je eine Wohnung mit drei riesigen Zimmern sowie Küche und Bad. Nicht nur die Wohnräume, auch die Küchen und Bäder waren auffallend groß; im ersten Stockwerk gab es keinen separaten Eingang. Die dritte Wohnung unter dem Dach war leider abgeschlossen, doch bis auf die schrägen Wände und die kleineren Fenster wohl ähnlich in der Aufteilung. Ich errechnete grob eine Wohnfläche von fast sechshundert Quadratmetern.
Das dritte Zimmer in der ersten Etage bekam durch die hohen Tannen vor beiden Fenstern zu wenig Licht und wirkte etwas finster; es diente als Bügel- und Handarbeitsraum der Hausfrau. Bernadette hatte hier eine Näh- und Strickmaschine untergebracht, eine mit bunten Stoffresten, Knöpfen, Garnen und Wollknäueln angefüllte Glasvitrine sowie ein Regal voller Kochbücher, Ratgeber und Schnittmuster. In einem pompösen Goldrahmen entdeckte ich Skizzen von Vampir-, Werwolf- und anderen gruseligen Halloween-Kostümen. Offenbar hatte sie Wolframs Verkleidungen selbst entworfen und eigenhändig angefertigt.
Eigentlich wäre es schade um dieses verzauberte Haus. Judith könnte im Parterre, ich in der ersten Etage wohnen, überlegte ich. Die Mansardenwohnung würde ich vermieten, um die laufenden Kosten zu bestreiten, denn das Heizen eines so großen Objektes verschlang bestimmt viel Geld. Natürlich müsste man gründlich renovieren und den Garten auf Vordermann bringen, doch dafür war bestimmt noch irgendwo Bargeld versteckt.
6
Der Hexenschuss
»Ich habe den Wolf schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen«, sagte Judith am Telefon. »Als Kind habe ich mir das tapfere Schneiderlein mit seiner spitzen Nase so ähnlich vorgestellt wie ihn, wenn er in seinem schwarzen Rollkragenpulli über die Schreibtischkante ragte. Aber ehrlich gesagt, habe ich die meiste Zeit durch ihn hindurchgesehen.«
»Jetzt hat er fast eine Vollglatze, ist noch viel dünner als damals und hat meistens einen ausgeleierten Jogginganzug an«, meinte ich. »Er behauptet, du hättest ihn keines Blickes gewürdigt.«
»Das hatte auch seinen Grund. Nicht, dass ich etwas gegen bewundernde Blicke hätte«, sagte Judith. »Es sind ja unausgesprochene Komplimente, die man gern entgegennimmt – nicht nur von jungen, auch von alten Männern und besonders von Frauen. Aber der Wolf hat mich zweimal mit derartigen Stielaugen angestarrt, dass es mir unheimlich wurde.«
»Er bildet sich ein, dass du seiner verstorbenen Frau ähnlich siehst, als sie noch jung war. Offenbar ist sie erst im Laufe der Zeit korpulent geworden.«
Das sei sie in dreißig Jahren auch, sagte Judith seufzend. Wir verabredeten uns für den nächsten Samstag zum Möbelschleppen.
Auf dem Weg zur Biberstraße sprach ich zum ersten Mal mit Judith über Wolframs sehr speziellen Todeswunsch. »Die Schlaftabletten können wir uns schenken. Er will erwürgt werden, am liebsten von dir«, sagte ich.
Judith bekam einen solchen Lachanfall, dass sie sich verschluckte. »Echt? Mach keine blöden Witze!«
Als sie endlich begriff, dass wir es mit einem bizarren Exzentriker zu tun hatten, regte sie sich erstaunlicherweise nicht besonders auf, sondern überlegte, wie man diesen Masochisten überlisten könnte.
»So ein Haus ist einige Anstrengungen wert. Wir müssten etwas aushecken, um ihm das Fell abzuziehen, ohne uns dabei die Finger schmutzig zu machen!«
Wenn das so leicht wäre, dachte ich. Judith aber wirkte kühl bis ans Herz hinan wie weiland Goethes Nixe, die einen Fischer in die Tiefe gezogen hat.
»In meinem letzten Krimi habe ich gelernt«, erinnerte sich Judith,
Weitere Kostenlose Bücher