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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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du sofort kommen?«, befahl sie. »Weinheim, Biberstraße neunzehn. Ich brauche dringend Hilfe. Bis gleich!«
    »Wer wird gleich kommen?«, fragten Wolfram und ich wie aus einem Mund. Sie habe einen alten Freund alarmiert, der sei arbeitslos und habe fast immer Zeit. Allerdings sollte man ihn für seine Dienste entlohnen.
    Selbstverständlich, meinte Wolfram und angelte mit zitternden Händen seine Brieftasche aus der obersten Schublade.
    Ich hatte kein gutes Gefühl. Hoffentlich war dieser Freund kein ehemaliger Knacki, Hochstapler oder Dealer. »Ist es Cord?«, fragte ich ahnungsvoll. Sie bejahte, er sei der einzige ihrer Bekannten, der erstens verfügbar und zweitens muskulös sei.
    Um die Wartezeit zu nutzen, schleppte ich die sechs Stühle vom Esszimmer in die Küche, den großen Tisch konnte Cord übernehmen. Ich griff sogar widerstrebend zum Staubsauger, rückte Möbel zur Seite und überlegte, ob Wolfram vom Bett aus lieber den Blick zum Fenster oder eher auf den Picasso richten wollte.
    Als ich erneut den Wohnraum betrat, schlummerte Wolfram bereits wieder auf dem Sofa, Judith saß daneben und legte den Finger auf den Mund. Das nützte allerdings nicht viel, weil es in diesem Moment läutete.
    Ich ging an die Haustür und öffnete. Vor mir stand Cord, den ich das letzte Mal vor vielen Jahren gesehen hatte. Wir musterten uns prüfend. Groß, kräftig, unsympathisch war mein erster Eindruck.
    Aber was er wohl von mir dachte?
    »Na, wo brennt’s?«, fragte er.
    Ich erklärte es ihm mit wenigen Worten, führte ihn herein und beobachtete voller Argwohn, wie er Judith mit einem Wangenkuss begrüßte. »Tut mir echt leid«, sagte er und zu mir gewandt: »Dann woll’n wir mal!«
    Er besah sich die Havarie, zerrte das Bettgestell mit ein paar Handgriffen aus seiner misslichen Lage und trug es ganz ohne meine Hilfe ins Esszimmer, ich musste ihm bloß die Tür aufhalten. Dann schleppte er auch die Matratze und eine schwere Kommode herunter sowie den Esstisch in die Küche. Ungefragt suchte und fand er im Keller das benötigte Werkzeug, um das aus den Fugen geratene Bett zu stabilisieren.
    Wolfram stand plötzlich staunend neben mir. Ob hundert Euro reichten, flüsterte er mir zu.
    Ich fand, die Hälfte sei bereits genug, denn die ganze Aktion hatte kaum eine Stunde gedauert. Der erleichterte Hausbesitzer ließ sich aber nicht beirren, übergab zwei Scheine und bedankte sich mehrmals.
    Cord schob das Geld lässig in die Hosentasche und versprach, jederzeit wiederzukommen, wenn Hilfe benötigt wurde. Das Gras müsse wahrscheinlich mit der Sense geschnitten werden, meinte er mit einem Blick aus dem Fenster. Dann ging er wieder zu Judith und bot ihr an, sie nach Hause zu chauffieren. Ein Fahrrad mit Hilfsmotor blieb vor der Garageneinfahrt stehen.
    Ich war jetzt mit Wolfram allein, wollte auch gern das Weite suchen, entschloss mich aber, erst noch sein Bett zu beziehen. »Viel Hektik und Aufregung, tut mir leid«, sagte ich zum Abschied. »Aber immerhin musst du dich heute keine Treppe hinaufquälen, dein Bett steht frischgemacht bereit. Den Perser aus dem Wohnzimmer habe ich dir davorgelegt, damit du keine kalten Füße bekommst. Ich wusste nur nicht, ob ich den Picasso von oben –«
    »Brauchst du nicht«, sagte er. »Hauptsache, der schönen Judith geht es bald besser! Könntest du ihr gelegentlich ausrichten, dass sie ihre blonden Haare beim nächsten Besuch offen tragen soll.«

7
    Die Bernsteinkette
    Am Sonntag rief ich gegen zwölf bei Judith an, um mich besorgt nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie würden gerade frühstücken, sagte sie, sie habe ein Schmerzmittel genommen, und es gehe ihr momentan gar nicht schlecht.
    Also war der Möbelpacker über Nacht bei ihr geblieben, was mir nicht gefiel. Ich hätte ihr wirklich einen besseren Mann gegönnt, auch wenn Cord immerhin einen hilfsbereiten Eindruck machte. Nun, er hatte hundert Euro eingesackt, dafür konnte er auch ein bisschen springen! An mir blieb es schließlich hängen, täglich nach Wolfram zu schauen, für ihn zu kochen und mir auftragen zu lassen, was ich einkaufen sollte.
    Lange suchte ich im Bücherschrank, bis ich in einer Anthologie mit humoristischen Gedichten ein paar Ergüsse von Friederike Kempner entdeckte. Ich wollte Wolfram mit einem Zitat seiner Ahnherrin überraschen. Neben patriotischen, frommen und sentimentalen Gedichten gab es auch eines, das mich durch seine treuherzige Reimerei besonders entzückte.
    Kennst du das Land, wo die

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