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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ist es ein Verbrechen. Da nützt auch ein Abschiedsbrief nichts!«
    »Soviel ich weiß, ist Beihilfe zum Selbstmord nicht strafbar«, sagte Wolfram zaghaft. »Lass es dir noch mal durch den Kopf gehen. Warum sollte ich nicht selbst über mein Leben verfügen und mir einen angenehmen Tod leisten können?«
    Ich stand auf. »Nein!«, sagte ich. »Such dir ein anderes Opfer! Ich lasse mich nicht korrumpieren. Soll ich den Wagen wieder in die Garage stellen?«
    »Du kannst ihn behalten, ich brauche ihn ja nicht mehr«, sagte Wolfram und begann zum Steinerweichen zu schluchzen. Ungern wollte ich ihn so aufgelöst allein lassen. Also blieb ich an der Tür stehen und fragte verunsichert, ob ich noch etwas für ihn tun könne.
    Er hatte sich schnell wieder gefangen.
    »Es wäre wirklich nett von dir, wenn du meine Brille suchen würdest, ich bin zu schwach, um überall nachzuschauen. Aber setz dich erst mal wieder hin, wir sollten ganz entspannt und vernünftig miteinander reden. Ich verstehe nur zu gut, dass du nicht als Mörderin im Gefängnis landen willst, das wäre auch auf keinen Fall meine Absicht. Im Gegenteil, ich will ja, dass es dir gutgeht, dass du dir deinen Ruhestand angenehm gestalten kannst, denn du hast bestimmt auch kein leichtes Leben gehabt.«
    Woher wollte er das wissen? Ich hatte mich nie beklagt. Widerstrebend, aber auch ein wenig neugierig, wie er sich das vorstellte, setzte ich mich auf das Sofa und versuchte es mit Diplomatie.
    »Wolfram, was deine Ehe betrifft, so gab es wohl bestimmte Dinge zwischen dir und Bernadette, die keinen etwas angehen. Ich war immer der Meinung, dass zwei Menschen, die eine ungewöhnliche und für beide Partner befriedigende Form des Zusammenlebens gefunden haben, sich nicht nach der herrschenden Moralvorstellung richten müssen. Aber ich bin nicht wie Bernadette, weder äußerlich noch im Wesen.«
    »Das stimmt allerdings«, sagte er. »Aber du bist mit einem schönen jungen Mädchen aus unserem ehemaligen Team befreundet, das mich noch nie eines Blickes gewürdigt hat.«
    »Judith ist schon dreißig und kein Teenager mehr«, verbesserte ich ihn. »Doch warum erwähnst du sie in diesem Zusammenhang?«
    »Sie sieht aus wie meine Frau in ihrer Jugend«, sagte er. »Vielleicht sollten wir sie einweihen.«
    Natürlich verriet ich nicht, dass Judith längst meine Verbündete war, und fragte heuchlerisch, ob ich sie ganz unverbindlich einmal mitbringen sollte. »Ich kann sie ja bitten, mich bei irgendeiner Aufgabe zu unterstützen…«
    Wolfram machte ein seliges Gesicht. »Wenn ihr mir mein Bett hinuntertragen könntet? Tag für Tag wächst meine Angst, ich könnte die Treppe hinunterstürzen, ich werde doch immer klappriger. Das Bett könntest du nur mit ihrer Hilfe hinunterschleppen.«
    Meine Wut über sein exzentrisches Angebot war schnell verraucht. Wenn Judith ganz offiziell mit von der Partie war, konnte ich vielleicht etwas mehr riskieren. »Ich gehe jetzt die Brille suchen, schaue mir dabei die Zimmer an und überlege, wie man den Bettentransport am besten organisieren könnte«, sagte ich. »Bleib bitte, wo du bist, ich komme schon zurecht.«
    Ich bin fast so neugierig wie Judith, dachte ich, jetzt werde ich endlich alle Räume im Haus inspizieren. Als Erstes betrat ich das ehemalige Schlafzimmer des Hausherrn, das er inzwischen gegen Bernadettes Kemenate eingetauscht hatte. Es lag direkt an der Frontseite und war am ehesten vom Straßenlärm betroffen. Hier gab es keine Blümchentapete, nur kalkweiße Wände, ein eher spartanisches Eisenbett, auch keinen Teppichboden, sondern abgetretenes Parkett. Eine Wand war mit Bücherregalen, eine andere mit einem klobigen Kleiderschrank zugestellt, der mittlerweile mit Bernadettes Kleidern vollgestopft war. Der einzige Schmuck war ein überdimensionales Bild, offensichtlich die plumpe Vergrößerung einer Picasso-Zeichnung, das vom Bett aus betrachtet werden konnte. Auf dem Nachttisch lag eine Brille, Kassengestell. Ich setzte sie probeweise auf und gleich wieder ab. Dann nahm ich die Liegende Nackte und Mann mit Maske an der Wand genauer unter die Lupe.
    Wie eine Löwin räkelt sich eine unbekleidete Frau lasziv auf einem Laken und bietet sich dem Betrachter als personifizierte Fleischeslust dar. Dicht hinter ihrem Lager lauert ein kleiner, ernster Mann, der eine Gesichtslarve abnimmt. Da das Modell schläft oder so tut als ob, kann der heimliche Beobachter getrost die Maske fallen lassen und das Weib mit den großen Brüsten

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