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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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einfach erklärt sich ein Ödipuskomplex. Unwillig schob ich das Blech mit dem Flammkuchen in den heißen Ofen.
    Wenig später wurde Judith vom Duft angelockt. Wir speisten im geputzten Wohnzimmer.
    »Das Esszimmer benutze ich längst nicht mehr«, sagte Wolfram. »Ich könnte gut dort schlafen, auch weil es direkt neben dem Bad liegt. Dafür müsste man Tisch und Stühle in der Küche unterbringen und mein Bett heruntertransportieren. Meint ihr, das wäre zu schaffen?«
    »Bei deiner Eisenpritsche sehe ich kein Problem«, meinte ich. »Aber das französische Bett ist ein Koloss.«
    »Ach was«, sagte Judith. »Ich bin stark! Wenn du fertig mit Mampfen bist, können wir loslegen.«
    Sie bestand darauf, dass sich Wolfram wieder aufs Sofa legte, und stapfte mit mir die Treppe hinauf, angeblich, um sich Bernadettes Lotterbett anzusehen. Im oberen Stock inspizierte sie aber erst einmal alle Räume, zog hier und dort Schubladen auf, öffnete Schranktüren und fast alle Fenster.
    »Hast du jemals von dieser ominösen Dichterin gehört, mit der unser Wolf verwandt sein will?«, fragte sie.
    »Ja, schon«, sagte ich. »Sie verdient zwar Anerkennung für ihr soziales Engagement, aber ansonsten gilt sie als die Königin der unfreiwilligen Kalauer. Nimm nur mal diese Strophe aus ihrem Amerika-Gedicht: Amerika, du Land der Träume, du Wunderwelt so lang und breit, Wie schön sind deine Kokosbäume, Und deine rege Einsamkeit! «
    »Manchmal staune ich, was du so alles weißt«, sagte Judith. »Ich kann kein einziges Gedicht auswendig! Aber schau doch mal, dieser verwunschene Garten! Höchste Zeit, dass frischer Wind reinkommt! Würdest du lieber oben oder im Parterre wohnen?« Mit dem Zeigefinger malte sie ein Smiley auf das staubige Fensterglas.
    »Oben«, sagte ich kurz. »Komm, wir probieren jetzt, ob wir das große Bett hochstemmen können.«
    Es gelang uns immerhin, die Matratze vom Bett zu wuchten und auf dem Teppichboden abzusetzen. Der Rahmen war sperrig und schwer wie Blei, aber Judith traute es uns durchaus zu, das Gestell die Treppe hinunterzuschleifen. Ein Schwerkranker wäre natürlich in diesem Paradestück besser aufgehoben als auf dem spartanischen Lager. Wir hoben das Trumm also an und bewegten uns unter rhythmischem Hauruck schwerfällig und unter häufigem Absetzen in Richtung Flur. Mir stand bereits der Schweiß auf der Stirn, als wir am Treppenabsatz ankamen.
    »Judith, ich schaffe das nicht«, stöhnte ich, aber sie kannte kein Pardon.
    »Los, weiter! Du musst oben gut festhalten und dich vorsichtig Stufe um Stufe abwärtsbewegen, ich werde unten anpacken und rückwärtsgehen. Dieser Klotz wurde ja mal angeliefert, und mehr als zwei Männer waren es bestimmt nicht. Was die hinbekamen, können wir auch!«
    Mitten auf der Treppe hatte ich keine Kraft mehr, das obere Ende entglitt mir, und alles – mitsamt Judith – kam ins Rutschen. Sie verlor den Halt und stürzte mehrere Stufen hinunter. Halb unter dem Bettgestell begraben, blieb sie liegen und starrte mich fassungslos an.
    »Nichts passiert«, sagte sie endlich und wollte aufstehen. In diesem Moment verzerrte sich ihr Gesicht, und sie stöhnte auf. Ich wurde blass vor Schreck. »Was ist?«, piepste ich.
    Aufgeschreckt durch das Gepolter, erschien jetzt auch Wolfram am Treppenaufgang.
    »Ist sie verletzt?«, fragte er mit dünner Stimme. »Soll ich einen Krankenwagen rufen? Hat sie sich das Bein gebrochen? Bandscheibenvorfall?«
    Judith richtete sich endlich auf, krumm, aber nicht querschnittsgelähmt.
    »Regt euch nicht so auf«, sagte sie. »Ich hatte schon zweimal einen Hexenschuss, es ist unangenehm, aber in ein paar Tagen wieder vorbei. Ein Arzt ist nicht nötig, aber heute bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen.«
    Sie lahmte ins Wohnzimmer und ließ sich mit einem Schmerzenslaut in einen Sessel sinken. Ich hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. »Es war meine Schuld«, klagte ich mich an.
    »Nein, meine«, sagte Wolfram. »Das hätte ich nie zulassen dürfen!«
    Judith grinste schon wieder, allerdings ein wenig kläglich. »Macht euch nicht ins Hemd, so was ist immer nur die eigene Schuld«, sagte sie. »Aber wie soll es jetzt weitergehen? Das Bett kann da nicht liegen bleiben, wir brauchen Hilfe! Karla, holst du bitte mein Handy, es steckt in meiner Jackentasche.«
    Ich beeilte mich, fragte aber ziemlich ratlos: »Wen willst du denn anrufen?«     
    Judith schüttelte nur den Kopf, drückte auf eine gespeicherte Nummer und wartete.
    »Kannst

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