Hab und Gier (German Edition)
Testamenten, die sie aufmerksam durchlas.
»Aber hallo!«, sagte sie. »Wir nehmen selbstverständlich die Nummer drei! Allerdings musst du den Wolf noch ein wenig unter Druck setzen: Er soll einen Abschiedsbrief hinterlassen und seine speziellen Bedingungen in einem gesonderten Dokument und auf keinen Fall im amtlichen Testament auflisten. Und wir zwei sollten eher heute als morgen die Aktion Schlafmittelbeschaffung starten!«
»Und wenn der Mann gar nicht so krank ist, wie er tut? Wenn ich ihn jahrelang pflegen und hätscheln muss, bis ich selbst tattrig werde und gar nichts mehr von meinem Reichtum habe?«
Judith grinste: »Bei diesem Spielchen bleibt zwar ein geringes Restrisiko, aber der Einsatz ist vergleichsweise gering, wenn man die hohen Gewinnchancen bedenkt!«
Sie lästerte noch ein wenig über die neue Chefin sowie den tyrannischen Hausmeister und schwärmte mir von einem Krimi vor, den sie gerade gelesen hatte. Dann brachen wir beide auf, sie in die Bücherei, ich zuerst in die Reinigung, dann zu meinem neuen Arbeitgeber.
Wolfram freute sich offensichtlich, als ich eintraf. Er hatte mich noch nicht so früh erwartet und wollte mir eigenhändig einen weiteren Kaffee aufbrühen, den ich ablehnte.
»Hast du meine Entwürfe gelesen?«, fragte er. Ich nickte und erklärte, dass ich mit Nr. 1 und Nr. 2 keine Probleme hätte, aber Nr. 3 nicht ganz eindeutig interpretieren könne.
»Ich verstehe natürlich, dass du den Zeitpunkt deines Todes selbst bestimmen und im eigenen Bett sterben möchtest. Und bei der Methode denke ich an einen tiefen Schlaf mit schönen Träumen, aus dem du nicht mehr erwachst – oder meinst du das anders? Allerdings müsstest du meine Sterbehilfe im Testament unerwähnt lassen, denn sonst entsteht ja der Eindruck, ich hätte dich aus habgierigen Gründen aus dem Weg geräumt…«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Ich werde einen Brief hinterlassen, der auf Freitod hinweist.«
»Entschuldigung, aber warum brauchst du dafür überhaupt eine Helfershelferin? Du könntest doch auch einfach im Ausland –«
»Dafür habe ich nicht mehr die Kraft«, fiel er mir ins Wort. Dann schwieg er eine Weile und wiegte nachdenklich den Kopf hin und her, bis er wieder ansetzte. »Sieh mal, Karla, ich habe mit meinem Vermögen ja etwas zu bieten. Dafür möchte ich im Gegenzug etwas erhalten. Seit Bernadettes qualvollem Tod leide ich unsäglich unter meiner Schuld, und gleichzeitig habe ich fürchterliche Angst vor dem Tod. Ich wünschte mir, dass meine Frau mich hart bestraft. Du könntest als ihre Stellvertreterin fungieren. Vielleicht solltest du eine blonde Perücke tragen oder etwas in der Art.«
Ich musste unwillkürlich auflachen, aber als ich seine tieftraurigen Augen sah, dämmerte mir, dass es ernst gemeint war.
Wolfram war kein attraktiver Mann. Durch seine Krankheit war das nicht besser geworden, er wirkte ein wenig klebrig und roch nach leerem Magen. Ich hatte ihm stets nur kurz die Hand gereicht, gegenseitige Umarmungen oder gar Wangenküsse passten zu uns beiden nicht. Allein bei der Vorstellung, ihn vielleicht auf die Toilette begleiten zu müssen, sträubten sich meine Nackenhaare. Kochen, einkaufen, aufräumen, Wäsche waschen – das war alles machbar, aber mit falschen goldenen Locken die Ehefrau spielen, das ging über meine Kräfte. Etwas mutlos schaute ich ihn an und schüttelte den Kopf.
»Was soll ich lange um den heißen Brei herumreden«, fuhr Wolfram fort, »ich möchte von dir erwürgt werden!«
Hatte ich mich verhört? Ich starrte ihn mit offenem Mund an, während er sein Anliegen bereits weitererklärte: »Du als Literaturexpertin kennst doch sicher das jeu du foulard . Das war in Frankreich einmal große Mode… Bernadette hat sich manchmal auf mich geworfen und ihre großen Hände um meinen Hals gelegt. Es waren die besten Augenblicke meines Lebens. Vielleicht könnte ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und abtreten, während mir lustvoll die Sinne schwinden…«
Ich bekam einen roten Kopf vor Verlegenheit, Perversionen waren nicht meine Welt. Am besten sollte ich auf der Stelle aus dieser ganzen Geschichte aussteigen.
»Tut mir leid!«, fuhr ich ihn an, vergeblich um Sachlichkeit bemüht. »Das geht über meinen Horizont! Schon ein Schierlingsbecher ist viel verlangt! Glaubst du wirklich, ich würde als Bernadette verkleidet einem geschätzten Kollegen an die Kehle gehen? Abgesehen davon, dass es eine grauenhafte Vorstellung ist,
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